Diplompsychologin und Autorin Lisa Fischbach im Interview

»Wer viel wert zu sein glaubt, der will auch einen guten Deal machen«

Ein Interview mit Lisa Fischbach

Untreue und Fremdgehen sind Dauerbrenner-Themen in Beziehungen. Und Gründe für Kummer, Tränen und Liebesleid. Die Diplompsychologen Holger Lendt und Lisa Fischbach wissen das aus Erfahrung: Viele Paare haben an dem Dilemma zwischen Treuewunsch und Untreuesehnsucht zu knapsen. Gibt es da überhaupt eine vernünftige Lösung? »Treue ist auch keine Lösung« behaupten die Autoren, und sagen in ihrem gleichnamigen Buch, warum das so ist. Provokante Thesen, viele Anregungen für ein Umdenken und jede Menge Stoff für eigene Gedanken bietet ihr vielschichtiges Plädoyer für mehr Freiheit in der Liebe. Und ist damit eigentlich ein Mutmachbuch für Liebende, die mit der Treue hadern, an ihr verzweifeln oder sie (ver)wünschen.

Buchcover: Treue ist auch keine Lösung. Ein Plädoyer für mehr Freiheit in der LiebeLisa Fischbach, Diplompsychologin und Sexualwissenschaftlerin, arbeitet in eigener Praxis für Single- und Paarberatung in Hamburg. Sie unterstützt berufliche und persönliche Veränderungsprozesse und hält Seminare, z. B. zu den Themen Partnersuche und Beziehung. Zusammen mit Holger Lendt bietet sie auf www.BegegnungsArt.de Single-Coachings die Fit2Flirt machen. Zudem arbeitet Lisa Fischbach für die Online-Partnervermittlung Elitepartner.de und leitet dort den Bereich Forschung, Matchmaking, Single-Coaching.

Wir haben mit Lisa Fischbach über Treue, AMEFI und die transformatorische Kraft der Liebe gesprochen.

Seitensprung-Fibel.de: Treue sei missverstandene Liebe, schreiben Sie. Ist es denn verwerflich, wenn jemand der erotischen Versuchung widersteht, weil er seinem Partner nicht weh tun will?

Lisa Fischbach: Nein – natürlich nicht. Es ist das einzig Sinnvolle im Rahmen der üblichen monogamen Regeln und wir würden nie etwas anderes empfehlen. Schade ist nur, dass wir in einem Treue-Paradigma leben, in dem es den Partner eben zwangsläufig verletzt, wenn wir Lust oder Liebe mit anderen teilen, ja, wo es schon eine Kränkung bedeutet, solche Wünsche nur zu äußern. Wenn uns ein guter Freund oder eine Freundin erzählt: »Ich bin frisch verliebt«, dann freuen wir uns wohl für ihn. Wenn unser Partner aber auch unser Freund ist, müssten wir uns dann nicht eigentlich für ihn oder sie freuen, wenn er sich noch zusätzlich in jemand anderen verliebt? In der Logik der Polyamorie gibt es das tatsächlich und der Kunstbegriff dafür ist »Compersion« – Mitfreude. Das klingt für unsere monogame Denke absurd bis wahnsinnig. Wir sollten nicht alle polyamor leben, aber in diesen »extremen« Liebesformen finden sich sehr viele großartige Anregungen, die monogam denkende Menschen mit viel Gewinn aufnehmen könnten.

Seitensprung-Fibel.de: »Alles Mit Einem Für Immer«, kurz AMEFI, sei der Liebesfluch unserer Tage, schreiben Sie. Warum macht uns dieser Anspruch das Liebesleben so schwer?

Lisa Fischbach: Weil er zu immer schnelleren Trennungen führt und zur Austauschbarkeit von Menschen. Wir lasten das Misslingen der Liebe immer den »falschen Partnern« an, nie unseren völlig überzogenen Ansprüchen. Eine ganze Industrie sorgt für steten Nachschub an ewig gleichen angeblich romantischen Blaupausen, mit denen unser Unbewusstes konditioniert wird.

Aber kennen Sie ein einziges Liebeslied, in dem die Liebe zu mehreren Partnern besungen wird? Oder die Schönheit einer platonischen Partnerschaft? Irgendwie wird so was in der Kunst meist als mangelhaft oder als ein gewagtes Experiment dargestellt (wie in Tykwers »Drei«)! Singles mögen sich nicht mehr binden, weil sie eine »Fehlinvestition von Lebenszeit« befürchten und kleine Charakterschwächen sind nicht liebenswert sondern werden zum Trennungsgrund, weil die wahre Liebe ja offensichtlich noch kommt, denn diese ist nicht perfekt. Wie viel eigentlich schöne Liebesbeziehungen gehen heute wegen Nichtigkeiten auseinander? Treue heißt, sich aufeinander einzulassen, sich aneinander zu binden – wir beobachten aber überall den gegenläufigen Trend zur Unverbindlichkeit... hervorgerufen durch das AMEFI-Ideal der Treue. Sehr paradox!

Seitensprung-Fibel.de: Gibt es da einen Unterschied zwischen Männern und Frauen, oder haben beide Geschlechter ähnlich übertriebene Erwartungen in puncto Liebe?

Lisa Fischbach: Wer als Single gut zurecht kommt, der braucht keinen potenten Versorger mehr, sondern könnte auf ganz andere Dinge Wert legen und entspannter werden. Leider sind gerade die sogenannten Powerfrauen aber nicht gewillt Abstriche bei ihren Ansprüchen zu machen, denn die »Logik des Liebesmarktes« macht aus uns allen Liebesobjekte und wer viel wert zu sein glaubt, der will auch einen guten Deal machen. Sehr tragisch, weil damit so viele wunderbare Menschen durch unser Schüttelrost fallen.

Männer sind hingegen oft eher Opportunisten und laut neuen Studien sogar zu mehr Opfern bereit als die Frauen, wenn sie gefragt werden, was sie für die große Liebe zu tun bereit wären. Wann aber Männer bereit sind, eine reale Partnerin als ihre große Liebe zu bezeichnen steht dann wieder auf einem ganz anderen Blatt. Der Grundirrtum beider Geschlechter besteht nach wie vor hauptsächlich darin, die Erfüllung in der Liebe im richtigen Objekt zu sehen und nicht in unserer Fähigkeit zu lieben. Diesen ganz zentralen Gedanken formulierte bereits Erich Fromm in seiner »Kunst des Liebens«.

Seitensprung-Fibel.de: Ein Paar sitzt bei Ihnen auf der Couch: Sie will alle paar Wochen romantischen Kuschelsex, er steht auf tägliche Erotikexperimente. Wer soll hier wem treu bleiben, haben Sie Lösungsvorschläge?

Lisa Fischbach: Zunächst mal: Beide sich selbst! Faule Kompromisse tragen nicht lang. Es kann aber durchaus möglich sein, miteinander zu verhandeln – im praktischsten Sinne des Wortes. Was könnte er ihr geben, damit sie bereit wäre, sich öfters mal zwischendurch auf kleine, gewagte Experimente einzulassen und umgekehrt?

Vielleicht ist es aber auch eine bislang nie gedachte Möglichkeit bestimmte Vorlieben mit anderen Partnern zuzulassen. Wenn ja, in welchem Rahmen wäre das vielleicht machbar? Vielleicht ist es aber auch unmöglich das aufzulösen und dann sollten sich beide fragen, wie wichtig ihnen ihre Bedürfnisse sind. Vielleicht ist es besser sich zu trennen, als ein Leben lang sexuell zu darben, nur um diese Partnerschaft aufrecht zu erhalten? Vielleicht empfinden es aber auch beide als ein Opfer auf dem Altar ihrer Liebe, wenn beide gleichermaßen Zugeständnisse machen... das ist in jeder Beziehung anders.

Seitensprung-Fibel.de: Bringt uns die gezielte Desillusionierung in Sachen Liebe und Treue in unseren Beziehungen wirklich weiter?

Lisa Fischbach: Ja – wenn wir auf der anderen Seite das zu tun lernen, was in den Ursprüngen der Romantik ihren Kern ausgemacht hat. Ein bewusstes »Verzaubern« der aufgeklärten Welt. Wir plädieren in unserem Buch für eine vernünftige Romantik als Lösung vieler Probleme. Wenn wir das tun, was Novalis die qualitative Potentierung nannte, nämlich den anderen so zu sehen und zu behandeln, als wäre er eine Art göttliches Wesen – obwohl wir ihn genau in seiner ganzen menschlichen Fehlbarkeit sehen können, hätten wir sicher ein besseres Liebesleben.

Zum Teil basieren erfolgreiche Konzepte gegen sexuelle Langeweile auf diesem Prinzip. Verliebte bringen automatisch das Beste im anderen hervor und schaukeln sich so zu unglaublichen Höhen auf – nur tun sie das meist blind für die Fehler des anderen. Sie sind unvernünftige Romantiker. Altgediente Partner sehen sehr wohl die Fehlbarkeiten des anderen, sind aber oft kaum noch imstande miteinander auch nur zu flirten. Romantik hieß immer Konventionen zu sprengen und Althergebrachtes zu hinterfragen. Was wir heute für romantisch halten ist oft fast das Gegenteil. Wir wollen das beste Liebesobjekt und dann wollen wir es halten und besitzen. Das ist kapitalistische Konsumentenlogik, aber keine Romantik! Vielleicht wäre Novalis heute polyamor, ein Single aus Leidenschaft oder bisexuell, um etablierte Konventionen zu sprengen?

Seitensprung-Fibel.de: Zerstört die ernüchternde Erkenntnis, dass es ewige Treue gar nicht geben kann, nicht den Zauber der Liebe?

Lisa Fischbach: Theoretisch ist ewige Treue durchaus möglich, nur dürfte sie die absolute Ausnahme sein. Der Zauber der Liebe entsteht jedoch durch ganz andere Dinge, nämlich durch das, was wir als positive Treue bezeichnen: Faszination, sich Beschäftigen mit, sich Einlassen auf den Geliebten, Neugier, Phantasie, Ehrlichkeit, Vertrauen, tiefe Gespräche, Bindung, Investition von Zeit und Aufmerksamkeit, Demut und Lernbereitschaft.

Wenn Liebe aus dem perfekten AMEFI-Objekt käme, wäre unsere Haltung richtig: Festhalten und verteidigen. Wenn Liebe hingegen eine Fähigkeit ist, die man trainieren kann, dann sollten wir offen sein für alle Herausforderungen. Ob in einer monogamen oder offeneren Beziehungsform. Ob wir innerlich wachsen, weil wir in den Armen verschiedener Geliebter andere Teile von uns entdecken oder weil wir in einer monogamen Beziehung immer wieder bereit sind, unser Bild vom anderen in Frage zu stellen, um in ihm alle Männer/Frauen der Welt zu finden und durch erkundende Phantasie hervorzubringen ist dann fast nebensächlich.

Liebe wird immer wehtun, weil sie unser kleines Ego hinterfragt und erweitern will und sie wird uns immer größte Erfüllung bringen, weil sie uns führen möchte, zu unserem vollen Potential und größter Lebendigkeit. Unser Buch ist mit Sicherheit vor allem eines: ein großes Plädoyer für die transformatorische Kraft der Liebe!

Liebe Frau Lisa Fischbach, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!



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