Ein Thema – viel Wissen: Experten aus aller Welt erklären die Liebe

Verliebtes Paar in der Nähe der Tower Bridge in London

Love is all around: Was wir von der Liebe wissen

Warum lieben wir eigentlich? Sind wir genetisch dazu verdammt? Treiben uns die Hormone? Ist es Aussehen, Reichtum oder Charakter, was uns anzieht? Warum vergeht Leidenschaft, wie verändert sich das Lieben im Alter? Warum lieben wir nicht immer die Person, die uns liebt? Den Fragenkatalog zum wichtigsten Thema der Welt könnte man unendlich lang fortsetzen. Wir widmen uns mal einigen Antworten.

Buchcover: Liebe: The World Book of Love von Leo Bormans Psychologen, Therapeuten, Soziologen, Anthropologen, Kulturhistoriker, Mediziner – mehr als 100 Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen aus 50 Ländern hat der Journalist Leo Bormans gebeten, mal zusammenzufassen, was die Quintessenz ihrer zum Teil jahrzehntelangen Forschungen zum weltbewegendsten Thema sind. Herausgekommen ist ein echtes »Book of Love« mit gebündeltem Wissen zu Sex, Leidenschaft, Partnerschaft und anderen Komponenten der Liebe.

Jeder will geliebt werden, Leidenschaft ist vergänglich, eine Partnerschaft muss gepflegt werden, mit den Jahren wird Sex unbedeutender und Liebe kann viel Kummer bewirken – viele der internationalen Erkenntnisse sind nicht wirklich verblüffend. Es ist, als besäßen wir alle schon ein Grundwissen über Liebesgefühle – je nach kulturellem und gesellschaftlichem Hintergrund leben leben sie nur anders und gehen anders damit um.

6 interessante Erkenntnisse aus aller Welt

Liebe ist ein universelles Gefühl, mag es noch so individuell gelebt werden – das machen die Statements der Forscher deutlich. Im Kern geht es doch immer darum, dass Liebe und Beziehungen fester Bestandteil unseres Lebens sind und uns irgendwie glücklich oder doch zumindest nicht unglücklich machen sollen. Patentrezepte gibt es dafür nicht, aber Erklärungen und Theorien, die auf den Erfahrungen vieler Menschen basieren. »The World Book of Love« fasst viel von diesem Wissen in einem opulenten Nachschlagewerk zusammen. Wir geben Ihnen hier einen kleinen Vorgeschmack und stellen Ihnen einige interessante Erkenntnisse daraus vor.

China: Erfüllte Liebe ist eine Frage der richtigen Architektur

Liebe ist eine Himmelsmacht, die einen unversehens trifft? Sie ist Schicksal und lässt sich nicht erzwingen? Wachen Sie auf – das würde Ihnen wohl Emil Man Lun Ng raten. Der Sexwissenschaftler aus Honkong hat sich jahrzehntelang mit Liebe und Sex beschäftigt und hält beides für gestaltbarer, als uns das weis gemacht wird. Romantische Liebe und guter Sex fallen uns nicht in den Schoß, wir müssen daran arbeiten. Und zwar zielgerichtet und hart, sofern wir denn Erfolg haben wollen. Wenn wir Liebe und Beziehungen als Laufbahn ansehen, dann müssen wir laut Ng auch die gleichen Methoden darauf anwenden wie etwa im Beruf. Wir müssen uns anstrengen und Intelligenz, harte Arbeit, Engagement und jede Menge Soft Skills investieren. Ziemlich unromantisch, finden Sie? So ist es. Ng meint, es sei eine Frage der richtigen Vorbereitung und der richtigen Architektur: Wer früh die eigenen Kriterien für seine Vorstellung einer idealen Beziehung festlegt, wer seinen perfekten Partner aktiv sucht, aus Fehlschlägen lernt und sich auch in Sachen Liebe beständig weiterbildet, der hat gute Chancen auf ein erfolgreiches Liebesleben. Und am besten sollten Menschen schleunigst eine Ausbildung in romantischer Liebe und gutem Sex etablieren – damit wir alle lernen, erfolgreich unser Gefühlsleben zu gestalten.

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Großbritannien: Das Michelangelo-Phänomen

Michelangelo war ein Renaissance-Künstler, der seine Aufgabe als Bildhauer darin sah, die überflüssigen äußeren Steinschichten eines Mamorblocks zu entfernen, um die darin verborgene ideale Form zu enthüllen. Auch bei uns Menschen ist das bisweilen so: Wir brauchen einen kreativen Bildhauer, der uns dabei hilft, unsere Idealform freizulegen. Die Londoner Psychologiedozentin Madoka Kumashiro ist der Ansicht, Liebespartner seien die perfekten Bildhauer füreinander – sofern sie das Gute ineinander zutage fördern und ihm Wachstum zugestehen. Dieses sogenannte Michelangelo-Phänomen ist eine ziemlich interessante Angelegenheit, denn es funktioniert in beide Richtungen. Die Erwartungen eines Partners können nämlich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken: Was Sie von Ihrer besseren Hälfte erwarten, wird diese irgendwie erfüllen.

Nehmen wir mal ein Beispiel: Ihre Frau ist ziemlich schüchtern und redet nicht gerne vor anderen – Sie respektieren das stillschweigend und übernehmen in bestimmten Situationen den Redepart, um Ihrer Frau unangenehme Auftritte zu ersparen. Damit verstärken Sie unbeabsichtigt die Schüchternheit Ihrer Frau, anstatt sie durch ermunterndes Verhalten darin zu bestärken, ihre Zurückhaltung zu überwinden. Zu den besten Arten von Liebe, so die Psychologin, gehört die, bei der die Partner einander dabei helfen, die Person zu werden, die sie eigentlich sein möchten. Weil Menschen aber nicht immer die Energie haben, das zu tun und auch genug Kraft haben müssen, um ihre eigenen Ideale anzustreben, ist es hilfreich, flexibel und aufmerksam zu sein. Dann kann man der Bildhauer seines Partners sein und zu der Person werden, die man eigentlich sein möchte.

Niederlande: Jeder kann guten Sex

Wie mögen Sie Sex am liebsten: bei Licht oder im Dunkeln? Bevorzugen Sie Letzteres, könnte es bedeuten, dass Ihr Lustempfinden durch Ihr Schamgefühl für den eigenen Körper beeinträchtigt ist. Drei von fünf Menschen weltweit machen das Licht aus, wenn sie intim werden, belegen Studien. Das muss nicht sein, zumindest, wenn es aus Angst und Schuldgefühl resultiert, was wir angesichts unseres Begehrens empfinden. Die niederländischen Forscher Willem Poppeliers und Theo Royers sind überzeugt: Jeder kann zu einer guten Sexualbeziehung finden. Dazu müssen wir ersteinmal erlernte Verhaltensweisen ablegen – wie etwa die Scham für sexuelle Erregung. Die ist uns anerzogen, schon Kinder lernen, Lustempfinden, das mit dem eigenen Körper zu tun hat, zu verbergen. Dabei sollten sie ihre Sexualorgane als wichtige Teile ihres Körpers kennenlernen, auf die sie stolz sein können. Das ist per se etwas sehr Subjektives, wichtig für ein erfülltes Sexualleben ist aber auch, dass man sich in andere hineinversetzen und die eigenen Lustemotionen entsprechend steuern kann.

Unser Liebesleben ist die Summe aus Lebenslust und Liebeslust, sagen die Forscher. Das eine ist ein Beziehungsaspekt, das andere ein biologischer Faktor. Beides gehört zusammen. Wem es gelingt, das unter einen Hut zu bringen, der kann sexuelle Erfüllung erlangen.

Japan: Wenn Sie wissen, was Ihr Ikigai ist, klappt's besser mit der Liebe

Kennen Sie Ihr Ikigai? Der japanische Begriff steht für das, was das eigene Leben lebenswert macht. Es ist schlicht gesagt das, was wir am meisten lieben: Ein Partner, eine Aufgabe, ein Lebenstraum, ein Tier. Ikigai ist absolut einzigartig, nur Sie selbst können es definieren. Und sollten es tun. Gordon Mathews, Professor für Anthropologie an der Chinesischen Universität Hongkong, hat Ikigai 20 Jahre lang erforscht und er ist sicher: Wenn wir herausfinden, was unser Leben für uns im Kern lebenswert macht, können wir ein besseres Leben führen. Was die Sache in Bezug auf unser Beziehungsleben so kompliziert macht, ist die Tatsache, dass Ikigai wandelbar und flüchtig ist. In jungen Jahren kann uns ein Partner alles bedeuten, nach 20 Jahren stellt er vielleicht nur noch eine Verpflichtung dar, von der wir uns nicht mehr befreien können.

Wir sollten akzeptieren, dass sich Dinge ändern und sich auch Prioritäten wandeln können. Viele Menschen, mutmaßt Mathews, wissen gar nicht, was ihr Ikigai eigentlich ist und fischen auch bei der Beziehung immer im Trüben, anstelle den ganz persönlichen Grund dafür zu suchen, warum sie es eigentlich mit dem Leben und dem Lieben aufnehmen, so schwer das auch manchmal ist.

Kanada: Gute Manieren für ewige Liebe

Hollywoodschomonzetten gaukeln es uns vor: Haben sich zwei Liebende trotz aller Hindernisse gefunden, dann ist die Sache im Kasten. In den letzten Jahren hat es zwar mehr Filme gegeben, die zeigen, was nach dem schmalzigen Happyend kommen kann, aber dennoch ist es für viele Menschen eine gewaltige Enttäuschung, wenn die leidenschaftliche Liebe nach einigen Jahren im Beziehungsalltag merklich abflaut. Der Funke scheint dann erloschen, der Beziehungsstress vorprogrammiert – aber es geht auch anders. Die kanadische Psychologieprofessorin Kim Bartholomew sagt, dass etliche Studien belegen: Romantische Liebe kann von Dauer sein. Aber wie?

Anfangs fällt uns die Liebe leicht, schreibt die Psychologin. Wollen wir diesen Zustand in spätere Jahre hinüberretten, müssen wir uns anstrengen. Indem wir nämlich genau die Verhaltensweisen und Gefühle kultivieren, die uns zu Liebesbeginn so leicht fielen. Das fängt beim Benehmen an: Wir neigen dazu, die Menschen, die wir angeblich lieben, schlechter zu behandeln als andere Personen. Wir bemühen uns nicht mehr, vernachlässigen unsere Manieren. Da werden Blähungen nicht zurückgehalten, Bitte und Danke geraten zu Fremdwörtern, Höflichkeit zur Nebensache. Kein Wunder, dass Liebe so auf der Strecke bleibt. Grundsatz sollte hier sein: Behandeln Sie Ihren Partner so, wie Sie behandelt werden wollen. Und schätzen Sie ihn für das, was er ist. Nicht für das, was er nicht ist. Ein bisschen Realismus tut gut, schauen Sie nicht immer auf die Defizite, fokussieren Sie auf die positiven Eigenschaften. Außerdem sollten Sie laut Bartholomew etwas gegen die bequeme Beziehungsroutine tun, brechen Sie gemeinsam aus dem Alltag aus und hören Sie bloß nicht auf, sich zu berühren. Kuscheln, Massieren, Petting oder Sex – ganz gleich welche Form der körperlichen Intimität Sie präferieren, greifen Sie zu. Und auch wenn Ihnen all das manchmal schwerfällt, lohnt sich die Anstrengung: Denn Sie müssen ein bestimmtes Verhalten ersteinmal zeigen, damit Sie sich auch so fühlen. Dann kann es Ihnen vielleicht gelingen, Ihre romantische Liebe haltbar zu machen.

USA: Vier universelle Kräfte für die große Liebe

Wenn zwei Menschen als Paar zusammenkommen, treffen zwei verschiedene Liebesgeschichten aufeinander – und jeder hat so seine Sicht der Dinge. Dabei übersehen die meisten von uns ein paar essentielle Punkte, die Beziehungen beeinflussen. Das meint zumindest der amerikanische Beziehungscoach Randy Hurlburt. Seit mehr als 20 Jahren ist Hurlburt dem Geheimnis glücklicher Liebesbeziehungen auf der Spur, eine seiner Erkenntnisse lautet: Außergewöhnlich tolle Liebe ist möglich. Wenn wir nämlich die vier universellen Kräfte der Liebe, als da wären: Anziehung, Freiheit, Verbundenheit und Reife, richtig anwenden.

Und das geht so:

  • Anziehung ist die Voraussetzung für Liebesebeziehungen, wird aber gemeinhin falsch verstanden. Verliebtheit und Sex etwa würden sich gerne mal als echte Anziehungskraft tarnen, schreibt Hurlburt, dann aber rasch verblassen. Zudem sei die Anziehung niemals auf beiden Seiten gleich stark, immer hänge ein Partner mehr an der Beziehung als der andere. Wer das erkennt und akzeptiert, hält diese Kraft in der Beziehung einigermaßen im Zaum.
  • Die emotionale Reife ist Kraft Nummer zwei: Hurlburt meint damit die Fähigkeit, eine gute Partnerschaft überhaupt führen zu können. Im Durchschnitt hätten Partner nur einen Reifegrad von etwa 60 Prozent, meist ist auch einer reifer als der andere. Wer gleich einen reiferen Partner wählt, erspart sich unter Umständen einen mühsamen, schmerzvollen Beziehungsweg.
  • Kraft Nummer drei ist die Verbundenheit: Phasenweise zumindest will doch jeder mit der aktuellen besseren Hälfte eins sein. Das geht aber nur bedingt, denn hier blockiert Kraft Nummer vier, die Freiheit. Unser Bedürfnis nach bedingungsloser Verschmelzung mit einem anderen Menschen kollidiert immer irgendwann irgendwie mit unserem Drang nach Freiheit. Und darüber fällt es uns schwerer zu reden, als etwa über Nähewünsche.
  • Diese vier widerstreitenden Kräfte werden laut Hurlburt immer Beziehungsprobleme verursachen. Die Lösung liege darin, diese zu lösen – keine unlösbare Aufgabe, wenn man gewisse Grundvoraussetzungen beherzigt. Man brauche dazu den Wunsch zur Zusammenarbeit, die Fähigkeit zu konstruktiven Gesprächen, das Vermögen, dem Partner zuzuhören (und ihn vor allem ausreden lassen zu können) und Wissen über eben die vier universellen Kräfte, die uns das Liebesleben schwer machen. Dann kann jeder Mensch außergewöhnliche Liebe finden – und aufrechterhalten.


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