Der Partner will Sex mit einer anderen Person – was tun?
Fest gebunden, aber Sehnsucht nach fremder Haut? Nahezu jedem Paar kann es passieren, dass einer der Partner sich Sex mit anderen wünscht. Das muss nicht gleich das Ende der Beziehung bedeuten, ist allerdings eine Herausforderung – vor allem für den Partner, der nicht das Bedürfnis nach erotischen Nebenerlebnissen hat. Gekränktheit, Besitzdenken oder auch Verlustängste können den Blick verstellen für eine offene Auseinandersetzung mit dem Wunsch des Partners. Unser Artikel gibt Anregungen für einen guten Umgang damit.
Verena und Mark, beide Anfang Vierzig, sind seit 12 Jahren verheiratet und haben zwei Kinder. Es gibt vieles, was sie verbindet: Beide kommen aus dem gleichen Ort, reisen für ihr Leben gern und haben den gleichen Geschmack.
Aber in einer Sache ticken sie grundverschieden, und das ist Sex. Verena ist eher der Kuscheltyp, ihr reicht Sex einmal im Monat, Mark hat es am liebsten möglichst oft und möglichst abwechslungsreich. Seit zwei Jahren arbeitet er auch noch in einer anderen Stadt und kommt nur am Wochenende nach Hause. Die Gelegenheiten für gemeinsame erotische Stunden, für Intimität sind dadurch noch weniger geworden.
Für Verena ist das okay, ihm reicht es aber nicht – denn sein Verlangen nach Sex, der Wunsch, erotische Sehnsüchte auszuleben, wird zunehmend drängender, sein Sexfrust immer größer. Irgendwann lässt er die Bombe platzen und schlägt Verena eine offene Beziehung vor: Sie bleiben zusammen, schauen, wie sich ihre Partnerschaft entwickelt, und geben einander die Freiheit, auch Sex mit anderen zu haben.
Lesetipp: 7 goldene Regeln für eine offene Beziehung
Verena fällt aus allen Wolken. »Ich bin die Treue in Person, so was kann ich mir echt nicht vorstellen!« Mark sieht jedoch in einer offenen Beziehung die einzige Chance, mit seiner Frau zusammenzubleiben, ohne dabei seine Bedürfnisse vollkommen zu verleugnen. »So weitermachen kann ich einfach nicht«, sagt er. »Und dann wäre die einzige Alternative für mich, fremdzugehen. Das kann es doch nicht sein.«
Und jetzt? Sollte Verena den Vorschlag von Mark akzeptieren, auch wenn es ihr völlig gegen den Strich geht? Oder muss Mark sich damit abfinden, dass eine offene Beziehung mit seiner Frau nicht klappen kann und sich im schlimmsten Fall eben trennen?
4 Gründe, warum es schwerfällt, dem anderen Fremdsex zu gönnen
[1] Wir wollen Liebe nicht teilen, wir wollen den anderen besitzen
Erst einmal ist da unser Besitzanspruch: In der Liebe, meint die österreichische Psychologin Gerti Senger, will eigentlich keiner teilen. Wir wollen für den anderen einzigartig sein, nichts von ihm abgeben, denn der Partner hat auch immer die Bedeutung einer Art Revier: Dann drehe sich nicht mehr alles nur um Liebe, sondern auch um Besitz und den Anspruch, für den anderen das Wichtigste zu sein, schreibt sie in »Schattenliebe«. Offen zu lieben muss nicht de facto heißen, bereit zu sein, etwas zu teilen. Es kann auch bedeuten, mehr zu bekommen. Da es aber in uns steckt, den anderen voll und ganz für uns zu beanspruchen, können wir uns insgeheim vom Besitzdenken schwer trennen.
[2] Monogamie ist die beste Beziehungsform, das haben wir so gelernt
Eigentlich ist Monogamie eine Erfindung der Neuzeit, aber in der leben wir nunmal und kennen andere Beziehungsformen meist nur vom Hörensagen. Das Ideal, so wird uns von klein auf eingebläut, ist Treue: Man bindet sich an einen Menschen mit Haut und Haar, für eine gewisse Zeit zumindest. Serielle Treue, also mehrere monogame Beziehungen nacheinander, werden toleriert. Aber nebeneinander, zur gleichen Zeit, das geht nicht. Das liegt aber nicht unbedingt daran, dass wir wirklich der Überzeugung sind, dass Treue für uns die Option schlechthin ist. Wir kennen es nur nicht anders, und reagieren deswegen automatisch ablehnend gegenüber anderen Beziehungsmodellen.
[3] Die Vorstellung, dass der Partner erotische Höhepunkte mit anderen erlebt, kränkt uns
Noch was ist in der Liebe offensichtlich: Sie macht uns ungemein sensibel, liefert uns einem anderen Menschen aus. Auch wenn sie mit den Jahren abnimmt, macht sie uns nicht unempfindlich – und darum empfinden wir es mitunter als Zurückweisung und letztlich als gewaltige Kränkung, wenn unser Partner zugibt, dass er auch mit anderen außer uns Sex haben will. Dann fangen die Gedanken an, Karrussell zu fahren: Bin ich nicht gut genug, sehe ich schlecht aus, bin ich erotisch unattraktiv? Das führt dazu, dass wir nicht sehen, was den anderen bewegt, sondern nur, was es mit uns macht: Es kränkt uns bis ins Mark.
[4] Was sollen denn die anderen denken? Wir schämen uns, weil eine offene Beziehung ein Tabu ist
Unbefriedigender Sex, aber eine ganz passable Partnerschaft – vielen geht es so, dass ihnen in ihrer Beziehung etwas fehlt. Wer sich dann bemüht, das Feuer der Leidenschaft wieder zu entfachen, kommt vielleicht schnell an Grenzen. Denn manches lässt sich nicht erzwingen, Partner können auch unterschiedliche Entwicklungen durchlaufen und andere Bedürfnisse entdecken. Auch wenn manch einer die Idee vielleicht gar nicht so abwegig findet, redet man doch nicht gerne darüber. Man ist zusammen, man schläft miteinander, man hält zum anderen. Punkt. Freunden oder Familie gegenüber zuzugeben, dass man sich sexuelle Freiheit schenkt und trotzdem oder vielleicht sogar gerade deswegen glücklich miteinander ist, fällt uns schwer. Weil die meisten von uns es als Niederlage betrachten, wenn sich einer oder beide woanders das holen, was sie in der Beziehung nicht finden. Solange man es über den Job kompensiert oder sich Befriedigung in aufregenden Hobbys oder im Freundeskreis sucht, geht das in Ordnung. Aber eine offene Beziehung führen, um mehr Glück zu finden, wird als Tabu gehandelt.
3 Anregungen zum Nachdenken
[1] Welche Alternative(n) gibt es in Ihren Augen?
Erwarten Sie, dass Ihr Partner bei einem Veto Ihrerseits von seinen Wünschen ablässt, und alles so weitergeht wie bisher? Steht die Sache erstmal im Raum, können Sie nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Und Sie müssen überlegen, wie es dann weitergehen kann. Denn Ihr Partner wird sicher nicht ohne Weiteres von seinem Wunsch loskommen. Wie sieht dann Ihrer Meinung nach eine Alternative aus? Dass Ihr Partner verzichtet? Wenn der Schuss mal nicht nach hinten losgeht…
[2] Empfinden Sie den Wunsch nach Sex mit anderen als Zeichen Ihrer zerrütteten Beziehung oder können Sie ihn als individuelles Bedürfnis sehen?
Gekränkte Eitelkeit hin oder her: Versuchen Sie mal herauszufinden, woher der Wunsch Ihres Partners nach Fremdsex herrührt. Läuft was zwischen Ihnen schief? Ist die Luft aus Ihrer Beziehung raus, vernachlässigen Sie den anderen? Nehmen Sie seine Bedürfnisse überhaupt noch wahr? Und wie sieht es denn bei Ihnen aus: Werden all Ihre Bedürfnisse in dieser Beziehung befriedigt? Sind Sie so glücklich, oder sehnen Sie sich insgeheim auch nach was anderem? Vielleicht ist der Wunsch Ihres Partners ja auch ganz normal – und Ihnen gar nicht so fremd?
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[3] Was würde sich für Sie ändern, wenn Sie einer offeneren Beziehung zustimmen?
Wo liegt denn nun eigentlich das Problem: Gönnen Sie Ihrem Partner Fremdsex nicht? Plagen Sie Verlustängste? Befürchten Sie, Nachteile dadurch in Kauf nehmen zu müssen? Es lohnt sich, sachlich darüber nachzudenken, welche Auswirkungen es für Sie haben könnte, wenn Sie Ihrem Partner Sex mit einem anderen zugestehen. Vielleicht – und genau das ist der Punkt – ist es sogar für Sie von Vorteil. Wenn nämlich Ihr Partner Ihre Toleranz zu würdigen weiß, die Freiheit wertschätzt, die Sie ihm schenken, und trotz erotischer Abenteuer bei Ihnen bleibt, könnte das Ihre Beziehung durchaus beleben. Also denken Sie mal darüber nach, was sich für Sie ändern würde – im Schlechten, aber auch im Guten.
Fazit: Vielleicht eine Möglichkeit…öffnen Sie sich der Offenheit
»Mein Partner will Sex mit anderen« – die meisten von uns reagieren darauf sicherlich mit Unverständnis und Wut. Das ist normal. Denn hinter dem Wunsch nach sexueller Offenheit steckt ja allem Anschein nach die Botschaft, dass der Partner etwas vermisst, was er in dieser Beziehung nicht bekommt. Schwierig wird es vor allem dann, wenn der eine sich eine »offene« Liebe vorstellen kann, für den anderen diese Art der Beziehung aber unvorstellbar ist – womöglich, weil er selbst die sexuelle Freiheit gar nicht auskosten kann oder will.
Wie Sie mit dieser Situation umgehen, bleibt ganz Ihnen überlassen. Und es hängt maßgeblich davon ab, wie stark Ihre Gefühle für Ihren Partner (noch) sind und wie sehr Sie gewillt sind, Ihre Beziehung zu retten, wenn auch auf unkonventionellem Wege. Denn wenn der Wunsch nach einer offenen Liebe erst einmal ausgesprochen ist, steht er im Raum und kann nicht ohne Weiteres ignoriert werden. Wenn die einzige Alternative die Trennung ist, sollten Sie zumindest einmal darüber nachdenken, ob Sie sich nicht vielleicht probehalber darauf einlassen. Dann könnten diese Ratschläge Ihnen helfen:
- Sie sind Teil dieser Beziehung, aber nicht schuld an den unbefriedigten Bedürfnissen Ihres Partners. Machen Sie sich das klar.
- Versuchen Sie, den Vorschlag nüchtern zu betrachten: Was bedeutet es für Ihre Beziehung zukünftig?
- Gleiches Recht für beide: Überlegen Sie, ob Sie Ihre Freiheit nicht auch ausnutzen können?
- Stellen Sie Regeln für den Umgang auf: Wie viel wollen Sie von den Affären des anderen wissen? Was geht, was sollte tabu sein?
- Überlegen Sie, welche Vorteile diese Beziehungsart auch für Sie und Ihre persönliche Entwicklung haben könnte.
- Schweigen ist Silber, reden ist Gold! Je offener Sie mit Ihrem Partner über Ihre Vorbehalte, Ihre Wünsche und Bedürfnisse sprechen, desto besser können Sie sich in die Situation hineinfinden.
PS: Verena und Mark haben ein paar heftige Wochen hinter sich. Verena hat zunächst dichtgemacht, sich geweigert, überhaupt über Marks ihrer Meinung nach unmoralischen Vorschlag zu sprechen. Die erste Wut ist verraucht, jetzt sieht sie etwas klarer, fühlt sich aber noch immer nicht imstande, eine Entscheidung zu treffen. Und Mark? Er bemüht sich, Verena zu zeigen, wie viel ihm an ihr liegt. Und dass es auch mit Liebe zu tun hat, dass er sich ihr geöffnet hat, anstelle sich einfach auf einen Seitensprung einzulassen. Die beiden reden jetzt miteinander. Anders, rückhaltloser, ehrlicher. Wir wünschen ihnen, dass sie zu einer guten Lösung finden, für beide.
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