Birgt jede Schattenliebe Leid und Unglück in sich?

Eine glückliche Frau in den Händen Ihres Geliebten

Glückliche Schattenlieben: Mythos – oder gibt es sie wirklich?

Wenn zwei Liebende lange als Paar zusammen sind, taucht manchmal ein Dritter im Schatten auf und sorgt für Turbulenzen, sprich: ein Beziehungsdreieck. Die Konstellationen sind individuell, doch die Muster, nach denen Schattenlieben ablaufen, ähneln sich. Weil starke Gefühle, Sehnsüchte und Bedürfnisse im Spiel sind, die sich seit Jahrtausenden nur geringfügig verändert haben. Wir sind im Herzen wilde, leidenschaftliche Wesen. Egal, wie sehr wir uns maßregeln, analysieren und zivilisieren.

Der Wiener Psychologe Dr. Walter Hoffman ist Gründer und Leiter des Instituts für Angewandte Tiefenpsychologie. Er führte 2007 eine Studie mit 946 Frauen und Männern durch, die zu ihrem Liebes- und Partnerschaftsverhalten Stellung nahmen. Den Ergebnissen zufolge stürzen sich nach sechs bis neun Beziehungsjahren 4 Prozent aller Frauen und Männer in eine langjährige Schattenliebe. Sie haben richtig gelesen: Männer und Frauen. Es gibt ebensoviele Schattenmänner wie Schattenfrauen. Allerdings sind es überwiegend weibliche Geliebte, die sich öffentlich zu ihrem Liebesmodell äußern. Nun ist nicht jedes außereheliche Verhältnis automatisch eine Schattenliebe. Was genau ist damit gemeint?

Das erwartet Sie in diesem Artikel

Wie die Schattenliebe entsteht

Der Begriff »Schattenliebe« bezeichnet eine sexuelle Beziehung, die über einen Seitensprung, eine Mini-Affäre oder Freundschaft hinausgeht, intensive Gefühle beinhaltet, heimlich gelebt wird und bei der mindestens einer der Beteiligten liiert ist. Ob ein verheirateter Mann neben seiner Ehefrau eine heimliche Schattenfrau hat, eine gebundene Frau zwei Männer liebt oder eine Singlefrau heimlich zwei verheiratete Partner hat, die voneinander nichts wissen – in jedem Fall findet die Liebe im Verborgenen statt. Im Schatten. Dass es dort sehr kühl werden kann, liegt nahe. Eine Schattenliebe kennt zwei typische Ausgangssituationen. Da wäre zunächst der Seitensprung, aus dem sich entgegen vorheriger Absprachen eine Langzeitaffäre entwickelt. Obwohl nur ein One-Night-Stand vereinbart war, läuft die Geschichte weiter. Aus der anfänglichen sexuellen Gier sprießen echte Gefühle, man entdeckt Gemeinsamkeiten, nach einigen Wochen existiert eine zwischenmenschliche Bindung, eine Parallelbeziehung, die so niemals geplant war. Eine ebenso klassische Ausgangssituation ist die »Sex only Affäre«, bei der sich zwei Menschen regelmäßig zu unverbindlichem Sex treffen. Jede Art von Beziehung wird explizit ausgeschlossen, weil einer oder beide liiert sind und eine Trennung nicht in Frage kommt. Dann passiert das, was nicht passieren sollte: Einer von beiden verliebt sich und will mehr.

Weil dieser Wunsch gegen die Abmachung verstößt, behalten ihn viele verliebte Schattenfrauen und -männer für sich. Sie leiden still, ohne Aussicht auf ein Happy End. Aus der unkomplizierten erotichen Kontakt wird ein Drama. Mit entsprechenden Folgen: Die Basisbeziehung wird unterminiert, die Nebenbeziehung wandelt sich vom emotionalen und sexuellen Glitzer zur Belastung. Im schlimmsten Falle rutschen alle drei Beteiligten in eine tiefe Krise.

Männer und Frauen gehen mit der Schattenliebe gänzlich unterschiedlich um

  • Ein Single-Mann, der eine heimliche Liebe mit einer verheirateten Frau lebt und an einer festen Beziehung interessiert ist, lässt sich nur begrenzte Zeit im Schatten verstecken. Erweist sich die Angebetete nicht als trennungswillig, treten die meisten Männer den Rückzug an und suchen sich eine neue Partnerin.
  • Frauen scheinen hier deutlich leidensfähiger zu sein und verharren oft viele Jahre in der Rolle der unglücklichen Geliebten, ohne Aussicht, jemals eine richtige Beziehung mit ihrem Objekt der Begierde zu leben.

Als Grund für die Bereitschaft zum Leiden sehen Beziehungspsychologen eine latente Bindungsangst auf Seiten der Schattenfrau. Eine Singlefrau, die sich auf einen verheirateten Mann einlässt und keine gesunde emotionale Distanz wahrt, sondern sich heftig verliebt, agiert ein scheinbares Paradoxon aus. Sie vermeidet trotz ausgeprägter Sehnsüchte das Risiko, das die Erstfrau eingegangen ist: die vertrauensvolle Bindung an einen Partner. Die heimliche Quasi-Beziehung mit einem liierten Mann befriedigt zwei gegensätzliche Bedürfnisse der Schattenfrau: den Wunsch nach Sexualität und Intimität und die Vermeidung von zu großer Nähe, Partnerschaftlichkeit und Verletzbarkeit.

Ein Leben als Schattenfrau ist ein ideales Schlupfloch, um Bindungsängste nicht reflektieren zu müssen.Natürlich muss das nicht zwangsläufig so sein. Nicht jede heimliche Geliebte ist von Natur aus bindungsunfähig. Nicht jede Schattenliebe birgt Leid und Unglück in sich. Und nicht jede Schattenfrau träumt von einer richtigen Beziehung mit ihrem heimlichen Liebhaber. Manchmal ist genau das Gegenteil der Fall!

Glückliche Geliebte: Ausnahme oder die Regel?

Buchcover: Schattenliebe: Nie mehr Zweite(r) sein von Gerti Senger Die Wiener Autorin und Psychologin Gerti Senger hat sich mit diesem Thema in Ihrem Buch Schattenliebe: Nie mehr Zweite(r) sein eingehend beschäftigt und zahlreiche Fachbücher über die Themen Liebe, Lust und Partnerschaft geschrieben. Sie sagt: Eine Schattenliebe muss nicht zwangsläufig eine Situation sein, in der ein Mensch unglücklich ist, weil er eigentlich etwas anderes will. Nicht jede Schattenliebe lebt gegen den Strich. Es gibt Frauen, die – wie Schattengewächse – ganz gerne im Dunkeln leben und mit einer Dreiecksbeziehung recht zufrieden sind.

Die erfahrene Paartherapeutin hält die Fähigkeit zum Glücklichsein als Teil einer Dreiecksbeziehung für eine Altersfrage. Je jünger und selbständiger die »Zweite Geige«, umso einfacher lassen sich Lebensziele und Bedürfnisse an die spezielle Ausnahmesituation eines Beziehungsdreiecks anpassen.

Die größte Chance auf Glück gibt es in symmetrischen Schattenlieben

In dieser Konstellation hat beispielsweise eine verheiratete Frau, die in einer freundschaftlichen aber sexlosen Ehe lebt, einen heimlichen Geliebten. Dieser wiederum ist ebenfalls gebunden. Für beide kommt eine Trennung vom Basispartner nicht in Frage, sei es aus familiären Gründen, finanziellen Verpflichtungen heraus oder einfach, weil in den Ehen noch viel Schönes jenseits von Sex und Leidenschaft ist, das nicht aufgegeben werden will. In dieser Symmetrie herrscht Waffengleichheit. Es besteht keinerlei Gefahr, dass aus der heimlichen Romanze eine ernsthafte Beziehung wird, die das offizielle Lebenskonstrukt in Frage stellt. So lassen sich lustvolle Stunden genießen, ohne dass die Schattenliebe sich im Alltag bewähren muss.

Im Idealfall lässt sich diese Schattenliebe eines Tages ins Licht rücken, indem beide Partner eingeweiht werden. Beide Ehepaare bleiben weiterhin zusammen und leben ihren Beziehungsalltag, gleichzeitig wird die Schattenliebe gelebt – ohne Schatten und Lügen, dadurch auch ohne Dramatik. Dabei zeigt sich auch, was an der Schattenliebe wirklich dran ist. Sind echte Liebe und Zuneigung im Spiel, kann aus der Schattenliebe eine vertrauensvolle stabile Freundschaft mit »Extras« werden. Ging es aber nur um den Kick des Verbotenen, lösen sich die Schattenlieben innerhalb kürzester Zeit in Nichts auf.

Auch als klassisches Beziehungsdreieck ist eine glückliche Variante der Schattenliebe möglich

Eine junge Studentin kostet das Leben in vollen Zügen aus. Sie verspürt noch keinerlei Drang nach Ehe und Kindern, ist auch an keiner monogamen Beziehung interessiert. Karriere, Hobbys, Freunde und sexuelle Neugier sind wichtiger. Außerdem ist ihr der »Mann fürs Leben« noch nicht begegnet, weshalb sie zwar einige lockere Verhältnisse, aber keine Paarbeziehung führt. Dann begegnet ihr ein älterer, verheirateter Mann. Er lebt in einer distanzierten Zweckehe, kümmert sich fürsorglich um Frau und Kinder, findet aber in seiner Ehefrau keine Partnerin mehr für leidenschaftlichen Sex. Er verfällt dem lebenslustigen Charme der jungen Frau mit Haut und Haaren, trägt sie auf Händen, verwöhnt sie sexuell, wie es nur ein erfahrener Mann vermag, und erfüllt ihr jeden Wunsch. Natürlich heimlich.

Auch wenn Moralapostel hier aufschreien: Dieses Beziehungsdreieck kann eine Weile gut funktionieren! Dem frustrierten Ehemann geht es deutlich besser, die Ehe wird dadurch stabilisiert, die junge Geliebte genießt alle Annehmlichkeiten eines gut situierten, lebenserfahrenen Liebhabers. Allerdings haben diese Schattenlieben ein Verfallsdatum. Spätestens wenn die Geliebte ihrerseits einen festen Partner will oder keine Lust mehr hat, Freunde und Familie fortlaufend anlügen zu müssen, ist das heimliche Glück zu Ende.

Was tun, wenn es im Schatten zu kalt wird?

Frauenforen sind voll von Strängen, in denen unglücklich verliebte »Zweite Geigen« sich ihren Schmerz von der Seele schreiben. Fast allen Geschichten gemeinsam ist die Unfähigkeit, die Affäre zu beenden. Längst ist die Liebe einer emotionalen Abhängigkeit gewichen, das Selbstwertgefühl ist im Keller, die Zerrissenheit zwischen Basisbeziehung und sexueller Hörigkeit dem heimlichen Zweitpartner gegenüber steht deutlich zwischen den Zeilen. Der Übergang von Liebe zur ungesunden Abhängigkeit findet schleichend statt. Leider überschätzen sich viele Frauen, wenn sie sich auf eine Schattenliebe einlassen, übersehen alle Warnzeichen und tappen deshalb in die klassischen Fallen, die gut getarnt hinter dem romantischen Thrill lauern.

Es ist übrigens ein Mythos, dass sich Frauen nur dann in eine Schattenliebe verstricken, wenn in der Basisbeziehung etwas nicht stimmt! Sonst würden wohl kaum so viele Singlefrauen in jahrelangen Schattenbeziehungen leben. Nein, eine wilde, verzehrende Sehnsucht zu einem anderen Mann kann völlig unabhängig von der bestehenden Partnerschaft entstehen und hat (meistens) nichts mit der Basisbeziehung, sondern allein mit der Frau zu tun, die diese Gefühle an sich entdeckt. Dieser Spur zu folgen ist viel sinnvoller, als krampfhaft nach Beziehungsdefiziten zu suchen, wo eventuell keine sind und dadurch den Partner mit einer »Mitschuld« zu belasten. Auch wenn die äußeren Umstände die Entstehung einer Schattenliebe begünstigen können: Die Entscheidung, sich auf eine Schattenliebe einzulassen, trifft eine Frau aus freiem Willen und selbstbestimmt. Die Verantwortung dafür kann sie weder dem Partner noch dem heimlichen Geliebten zuschieben. Viel wichtiger als die Frage »wie komme ich hier wieder raus?« ist demnach die Frage nach dem Warum. Warum war es so reizvoll für mich, eine heimliche Affäre zu leben? Warum schaffe ich es nicht, mich zu lösen? Warum konnte die Schattenliebe so übermächtig in meinem Leben werden? Welche Fallen habe ich übersehen? Und wie finde ich meinen Seelenfrieden wieder – falls notwendig?

Die Antworten auf diese Fragen zu finden ist äußerst spannend. Im unserem Specials Schattenbeziehungen: 10 tückische Fallen, die Sie kennen sollten beleuchten wir die zehn typischen Fallen, die aus einer unbeschwerten Liebelei ein schmerzhaftes Schattendrama werden lassen und zeigen, wie man sich aus ihnen befreit. Oder noch besser: sie von Anfang an erkennt und gar nicht erst hineinfällt.

In unserem zweiten Special Liebe im Schatten: Mit 10 Schritten in die Freiheit! schlüsseln wir auch zehn Schritte auf, die auf direktem Weg in die Freiheit führen können. Diese Schritte haben übrigens nur indirekt mit Ihrer Schattenliebe zu tun und befassen sich vor allem mit Themen, die Ihren ureigenen Persönlichkeitskern betreffen.



Mehr zum Thema: Das könnte Sie auch interessieren