Patchwork – kann das gut gehen? Paartherapeut Dr. Wolfgang Krüger und Autorin Katharina Münzer im Interview
Bei gleichbleibend hohen Scheidungsraten und dem Anspruch, nach einer gescheiterten Beziehung wieder Liebesglück zu finden, ist das eine berechtigte Frage. Denn spätestens ab einem gewissen Alter ist damit zu rechnen, dass die neue Liebe Kinder mit in die Beziehung bringt. Leicht ist das nicht.
Paartherapeut Wolfgang Krüger weiß das – zehn Jahre lang lebte er in einer Patchwork-Familie. Mit seiner Stieftochter Katharina Münzer hat er darüber ein Buch geschrieben.
In »Über-Leben in der Patchworkfamilie« ist eindrücklich nachzulesen, welche Phasen die Beziehung von Krüger und seiner Stieftochter durchlaufen hat und wie beide dies erlebt haben. Unverblümt erzählen sie vom morgendlichen Kampf ums Bad, von den alltäglichen Auseinandersetzungen, den Versuchen von Krüger, sich anzunähern und Katharinas beherzter Gegenwehr. Wie viel Geduld, Verständnis und Konfliktfähigkeit auf Seiten von Wolfgang Krüger gefordert war, und welchen Ängsten und Wutgefühlen sich Katharina immer wieder ausgesetzt fühlte, ist hier einfühlsam dokumentiert. Wer selbst in einer Patchwork-Familie lebt, fühlt sich sehr verstanden. Wer vor dem Experiment Patchwork-Familie steht, erfährt, was auf ihn zukommen könnte.
Warum lehnte Katharina ihren Stiefvater so vehement ab, wieso blieb Wolfgang Krüger trotzdem hartnäckig und warum ist eine Patchwork-Familie ein schwieriges Unterfangen? Wir haben mit Katharina Münzer und Wolfgang Krüger darüber gesprochen.
Interview geführt am 22.03.2017
Die Seitensprung-Fibel: Lieber Herr Dr. Krüger, Sie haben zehn Jahre lang mit Ihrer Partnerin und deren zu Beginn neun Jahre alten Tochter zusammengelebt. Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Patchwork-Familie gemacht?
Dr. Wolfgang Krüger: Die neunjährige Katharina hat mir über drei Jahre lang gesagt: »Nimm es nicht persönlich. Hier ist einer zu viel, und das bist du«. Meine Erfahrung war zunächst, dass Katharina jede Strategie benutzte, um mich »weg« zu ärgern.
Die Seitensprung-Fibel: Wie kann man so etwas denn nicht persönlich nehmen – schließlich mussten Sie unter anderem ignorantes Verhalten und persönliche Angriffe ertragen?
Dr. Wolfgang Krüger: Das war am Anfang schon schwierig, aber die Partnerschaft war gut, ich hatte gute Freundschaften, war mit meinem Beruf sehr zufrieden, schrieb Bücher. Und Katharina hat nie völlig extreme Machtmittel angewendet. Zudem haben sich im Laufe der Jahre diese Attacken immer mehr vermindert und Katharina, die eine sehr lebendige und interessante und warmherzige Jugendliche war, bemühte sich aktiv um mich…
Die Seitensprung-Fibel: War es für Sie damals ein Hindernis, dass die Frau, in die Sie sich verliebt hatten, ein Kind hatte?
Dr. Wolfgang Krüger: Nein, ich dachte: Das ist doch toll, eine Frau mit Kind – für mich war das Zeichen dafür, dass sie über Sozialkompetenz verfügt.
Die Seitensprung-Fibel: Wie haben Sie sich auf das Zusammenleben vorbereitet, hatten Sie eine Strategie – immerhin sind Sie als Psychotherapeut ja quasi vom Fach?
Dr. Wolfgang Krüger: Ich hatte viel Erfahrung mit Kindern und arbeitete einmal sogar ein Jahr lang im Kindergarten. Deshalb war ich überzeugt: Katharina wird mich lieben.
Die Seitensprung-Fibel: Liebe Frau Münzer, Sie haben Ihren Stiefvater lange Zeit abgelehnt. Was hat er falsch gemacht oder anders gefragt: Hätte er etwas anders machen müssen, um Sie für sich zu gewinnen?
Katharina Münzer: Wolfgang hat nicht direkt etwas falsch gemacht. Er kam für mich einfach zu einem falschen Zeitpunkt in mein Leben, denn ich wollte nach den ganzen Veränderungen und nach der Trennung meiner Eltern nicht auch noch meine Mutter teilen müssen. Zudem hatte er andere Interessen und eine andere Einstellung zum Leben, was nicht unbedingt verkehrt sein muss, für mich aber damals befremdlich war. Wolfgang hätte nicht wirklich etwas anders machen können.
»Ich wollte Wolfgang nicht
in meiner Familie haben
und ich hatte mir auch Wolfgang
nicht ausgesucht.«
Katharina Münzer
Die Seitensprung-Fibel: Wie hat sich in dieser Situation eigentlich die Mutter verhalten?
Dr. Wolfgang Krüger: Sie hat versucht, die Tochter zu beruhigen, indem sie viel mit ihr gesprochen hat. Sie muss sich manchmal gefühlt haben wie im diplomatischen Dienst, weil sie immer zwischen den Fronten stand und vermittelte.
Die Seitensprung-Fibel: Hat dieses schwierige Verhältnis zu Ihrer Stieftochter die Beziehung zu Ihrer Partnerin beeinflusst?
Dr. Wolfgang Krüger: Nein!
Die Seitensprung-Fibel: Warum haben Sie denn so lange gekämpft, um den Mann Ihrer Mutter zu vergraulen?
Katharina Münzer: Ich wollte Wolfgang nicht in meiner Familie haben und ich hatte mir auch Wolfgang nicht ausgesucht. Daher habe ich versucht, ihn mit Gemeinheiten und gelegentlicher Ignoranz loszuwerden. Die Zeit kommt mir heute sehr lange vor, aber in der Situation habe ich natürlich nicht gesehen, wie lange wir schon Konflikte ausgetragen haben. Ich war schließlich auch noch sehr jung.
Die Seitensprung-Fibel: Und haben Sie in der Ablehnungsphase auch mal daran gedacht, dass Ihre Mutter mit diesem Mann glücklich ist und Sie das beständig unterminieren?
Katharina Münzer: Dazu war ich vermutlich noch zu jung. Mit der Zeit habe ich natürlich schon gesehen, dass Wolfgang uns insgesamt auch sehr unterstützt und uns hilft.
Die Seitensprung-Fibel: Heute ist die Beziehung zu Katharina ein wertvoller Bestandteil Ihres Lebens. Wie kam es dazu, nach dieser holprigen Vorgeschichte?
Dr. Wolfgang Krüger: Ich bin auf viele Konflikte nicht eingestiegen, ich habe sogar verstanden, dass sie mit der Patchwork-Familie nicht einverstanden war, denn es war nicht ihre Entscheidung. Und schließlich hat sich Katharina an mich gewöhnt und dann hat sie zunehmend erlebt, dass ich doch eine Bereicherung für ihr Leben bin. Ich habe täglich gekocht, mit ihr Schularbeiten gemacht und sie mit meinem Interesse an ihrem Leben überzeugt. Und Katharina hat sich dann aktiv für die Beziehung mit mir entschieden. Das war der große Vorteil: In ihren Entscheidungen, ihrem Engagement, ihrem Interesse war sie immer sehr verlässlich und klar.
Die Seitensprung-Fibel: Frau Münzer, nach zehn Jahren war es dann endlich soweit – der »neue« Mann ging. Wie haben Sie sich da gefühlt?
Katharina Münzer: Wolfgang und ich hatten zu diesem Zeitpunkt eine sehr gute Beziehung, daher war ich sehr traurig. Eigentlich war ich sogar wütend, denn nach den vielen Jahren des Kampfes und der Annährung hatten wir nun ein sehr gutes Verhältnis gehabt. Ich beschloss aber, dass Wolfgang und ich trotzdem in Kontakt bleiben sollten, was auch so bis heute – wiederum mehr als zehn Jahre später – so geblieben ist.
»In erster Linie ist wichtig,
dass ein Kind spürt:
Meine gute Beziehung zur Mutter
ist nicht bedroht«
Wolfgang Krüger
Die Seitensprung-Fibel: Jede zweite Patchwork-Familie bricht auseinander – was sind denn Ihrer Einschätzung nach die häufigsten Gründe für das Scheitern?
Dr. Wolfgang Krüger: Es sind ja meist Stiefväter, die zu wenig Geduld haben und zu sehr gekränkt sind, wenn die Stiefkinder rebellieren.
Die Seitensprung-Fibel: Wie kann man sich davor weitgehend schützen?
Dr. Wolfgang Krüger: Man müsste wissen, was in den Kindern vorgeht. Doch leider sagen sie uns nicht, welche Ängste sie haben und welche Strategien sie aushecken. Und deshalb hat Katharina so liebenswert-rückhaltlos ihre Gefühle aufgeschrieben und ihre Strategien verraten, mich loszuwerden. Und sie hat gezeigt, wie und warum unsere Beziehung immer besser wurde.
Die Seitensprung-Fibel: Ist das Alter der Kinder ein wesentlicher Aspekt für das Gelingen einer Patchwork-Familie?
Dr. Wolfgang Krüger: Je kleiner Kinder sind, deshalb eher gewöhnen sie sich an den neuen Stiefvater oder die Stiefmutter.
Die Seitensprung-Fibel: Wie verhalte ich mich, wenn mein Kind den neuen Partner ablehnt?
Dr. Wolfgang Krüger: In erster Linie ist wichtig, dass ein Kind spürt: Meine gute Beziehung zur Mutter ist nicht bedroht. Wenn ein Kind davon überzeugt ist, wird es langfristig auch den neuen Partner akzeptieren, sofern sich dieser mit Wertschätzung und Interesse zuwendet.
Die Seitensprung-Fibel: Man verliebt sich in jemanden, stellt dann fest, dass er getrennt ist und Kinder hat. Man selbst ebenfalls – kann das eine Liebe belasten?
Dr. Wolfgang Krüger: Vor allem die große Patchwork-Familie (sowohl die Frau als auch der Mann bringen Kinder in die neue Partnerschaft ein) kann sehr anstrengend sein. Aber wenn man sehr verliebt ist, wird man diese Partnerschaft trotzdem beginnen.
Die Seitensprung-Fibel: Glauben Sie, dass es viele Menschen von einer neuen Partnerschaft abhält, weil sie die Patchwork-Konstellation fürchten?
Dr. Wolfgang Krüger: Frauen mit Kindern haben erheblich geringere Chancen, einen Partner zu finden. Viele Männer ahnen, dass es stressig werden könnte und bekommen kalte Füße.
Die Seitensprung-Fibel: Sind diese »kalten Füße« denn berechtigt?
Dr. Wolfgang Krüger: Unberechtigt sind diese Ängste nicht, aber meine Erfahrung mit Katharina zeigt: Wenn man sich dieser Herausforderung stellt, wenn man erheblich konfliktfähiger wird und über Geduld und Humor verfügt, kann ein solches Erlebnis eine große Bereicherung sein. Ich bin stärker geworden und habe eine ‚Tochter‘ gewonnen.
Die Seitensprung-Fibel: Es gibt viele Beratungsangebote für Familien. Glauben Sie, psychologische Unterstützung hilft beim Aufbau einer Patchwork-Familie?
Dr. Wolfgang Krüger: Das kann helfen, aber vor allem muss der Stiefvater belastungsfähig sein und sich in die Welt der Kinder hineinversetzen können. Dann löst sich oft der Konflikt nach Jahren auf. Wenn allerdings jeder Kinder in die Beziehung einbringt und das Paar noch ein gemeinsames Kind bekommt, gibt es oft Dauerkonflikte. »Das ist mein Kind, das ist Dein Kind, das ist unser Kind« – eine Unterstützung ist dann sehr hilfreich.
Die Seitensprung-Fibel: Was könnte Ihrer Meinung nach die Gesellschaft tun, um Patchwork-Familien besser zu unterstützen?
Dr. Wolfgang Krüger: Wir trennen uns und gehen neue Beziehungen ein, weil wir die große Liebe suchen. Und wir müssen wissen: Dies bringt Konflikte mit sich, wenn Kinder in der Familie aufwachsen. Wir müssen in Zukunft viel konfliktfähiger werden. Wir müssen über die Ängste der Kinder mehr sprechen, damit Stiefväter besser vorbereitet sind. Und wir müssen lernen, lebendiger, geduldiger mit Konflikten umzugehen. Wir sollten sie akzeptieren und als eine Möglichkeit betrachten, daran zu wachsen.
Die Seitensprung-Fibel: Frau Münzer, Welche Erfahrung haben Sie aus dieser Patchwork-Familie mitgenommen?
Katharina Münzer: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Neuerungen und Veränderungen auch positive Aspekte haben können. Zudem bin ich offener für andere Einstellungen geworden. Ich habe auch als Erfahrung mitgenommen, dass bestimmte Prozesse und Entwicklungen Zeit brauchen und man Geduld aufbringen muss.
Die Seitensprung-Fibel: Sie sind nun selbst Mutter. Wie würden Sie sich verhalten, wenn Sie selbst in eine Patchwork-Situation kommen würden?
Katharina Münzer: Vermutlich würde ich meinem neuen Partner erklären, dass wir sehr viel Geduld aufbringen müssen um eine gut funktionierende Patchwork-Familie zu haben. Falls ich selbst zur Stiefmutter werden sollte, würde ich sehr viel Interesse für das Stiefkind aufbringen, aber auch keine falsche Erwartungen an eine Beziehung haben. Damit würde ich Druck aus der Beziehung nehmen und weniger enttäuscht werden. Den Zeitrahmen kenne ich schließlich noch aus meiner eigenen Kindheit.
Liebe Frau Münzer, lieber Herr Dr. Wolfgang Krüger, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!
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