Die aus Filmen und Literatur bekannten »cinq à septs«, heimliche Seitensprung-Treffen zwischen 17.00 und 19.00 Uhr, werden bis heute vor allem in französischen Großstädten kultiviert. Die Bezeichnung entstammt einer Zeit, in der gestresste französiche Männer traditionell die Zeit zwischen Büroschluss um fünf und dem Dinner zuhause um sieben für sich nutzten, um sich von den Strapazen des Tages zu erholen. Ob zur geselligen Runde im Raucherclub, einem Besuch im Casino inklusive ein oder zwei Whiskeys mit Freunden oder eben einem Schäferstündchen mit der Geliebten. Genau diesen Stellenwert genießt der Seitensprung in Frankreich: Freizeitgestaltung.
Kaum eine französische Ehefrau käme auf die Idee, das Fremdgehen ihres Mannes mit Eheproblemen oder psychologisch tiefschürfenden Fragen ergründen zu wollen. Es findet statt, basta. Zum Problem wird es nur dann, wenn aus der rein sexuellen Liebelei eine ernstzunehmende Parallelbeziehung wird. Da fahren die Französinnen ihre Krallen aus und handeln. Nein, nicht in Form einer Konfrontation mit dem Fremdgänger. Sie suchen die Geliebte auf und führen ein Frauengespräch unter vier Augen, bei dem die Verhältnisse geklärt werden.
Hier zeigt sich eine weitere Besonderheit des übrigens weitgehend atheistischen Frankreichs: Es gibt zwei Sorten Frauen. Die Ehefrau-Frauen und die Geliebten-Frauen. Ehefrau-Frauen sind stark, selbstbewusst und unabhängig, während Geliebten-Frauen oft ihr ganzes Leben an ihrem jeweiligen (verheirateten) Lover ausrichten, der sie finanziell, emotionale und sexuell über Wasser hält.
So erklärt es sich auch, dass manchmal die Ehefrau zu einer Art Ratgeberin und mütterlichen Freundin für die meist wesentlich jüngere Geliebte wird, sobald die Affaire aus dem Ruder läuft. Ein edler Zug, denn genau das braucht eine Geliebte, die von ihrem verheirateten Lover fallengelassen oder hinsichtlich gemeinsamer Zukunftspläne belogen wurde: eine starke Frau, die ihr schonungslos die Wahrheit sagt. Ja, ich weiß von eurem Verhältnis. Nein, wir lassen uns nicht scheiden. Ja, er ist toll im Bett. Nein, ich werfe ihn nicht raus. Und nein, ihr werdet euch nicht weiterhin treffen, mein Mann verwandelt sich nämlich sonst in ein kopfloses, hormongesteuertes Jüngelchen und gefährdet damit nicht nur seine berufliche Stellung.
So abenteuerlich das klingt, aber es gehört zur französischen Lebensart. Ehefrauen, die wissen, was sie wollen. Statt sich mit Taschentüchern und Psychobüchern zu verkriechen und vor sich hin zu leiden, weil ihr Mann vor lauter Verliebtheit nicht mehr weiß, ob er nun die Ehe weiterführen will oder mit der Geliebten neu anfangen, schaffen sie klare Verhältnisse. Eine französische Ehefrau wartet nicht darauf, ob sich ihr Mann »für sie entscheidet«, sondern entscheidet selbst. Und schickt entweder die Geliebte in die Wüste oder packt selbst ihre Koffer. Ohne Leichenbittermine und dramatische Szenen. Und ohne Scheidung. Denn sie weiß, dass die Affaire sich ohnehin früher oder später erledigt haben wird. Sie wartet seelenruhig ab – und vertreibt sich nonchalant die Zeit mit ein oder zwei diskreten, sexuellen Abenteuern. Kein Wunder, dass französische Männer bei diesem Frauentyp schwach werden ...
Dieser Artikel hat 10 Seiten. Lesen Sie auch . . .Seite 1: Von wegen italienisches Temperament
Seite 2: Eifersüchtige Schweizer: Der Seitensprung als Staatsgeheimnis
Seite 3: No Sex, I’m british
Seite 4: Savoir vivre: Die hohe Kunst des stressfreien Fremdgehens
Seite 5: Gefährliche Abenteuer in 1001 Nacht
Seite 6: Russische Sitten: Die Geliebte als Statussymbol
Seite 7: Heiße Schwedinnen? Die gibt’s nur im Film!
Seite 8: Amerika, wie hast du dich verändert
Seite 9: Zwischen Kaiserschmarrn und Schlagersängern
Seite 10: Deutschlands neue Gelassenheit sorgt für mehr Lust