Beuteschema schlägt Vernunft: Warum finden wir einen Menschen anziehend, auch wenn er als Partner nicht passt? Psychologische Erklärungen gibt es hier.

Ein Pick-Up-Artist flirtet in einem Cafe mit einer Frau

Beuteschema – das Rätsel unserer Begierde

Er muss über 1,75 Meter groß sein, sollte auf sein Gewicht achten und beruflichen Erfolg anstreben. Was wie nach Klischee klingt, ist mitunter fester Bestandteil der Liste, die Menschen insgeheim aufstellen, wenn sie auf Partnersuche sind. Wie lässt sich das erklären? Warum springen die meisten Menschen auf bestimmte äußere oder innere Merkmale bei anderen ab – auch wenn das, was dahintersteckt, ganz und gar nicht der Traumpartner ist, mit dem eine erfüllende Beziehung klappt?

»Wir haben nicht den Eindruck, den Menschen, in den wir uns verlieben, vorher nach festen Kriterien ausgewählt zu haben. Wissenschaftliche Studien, Statistiken und der unverstellte Blick auf die Wirklichkeit belehren uns jedoch eines Besseren. Die Partnerwahl gehorcht relativ festen Regeln, und die Liste, nach der wir potenzielle Kandidaten auswählen oder aussortieren, ist bekannt und uralt. Sie ist unser archaisches Beuteschema.«

Stefan Woinoff, »Überlisten Sie Ihr Beuteschema«

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Vorstellung trifft Wirklichkeit: Unser Beuteschema

Wo die Liebe hinfällt, da bleibt sie liegen – die meisten denken, ihre Gefühle hätten sie spontan in die Arme genau dieses Menschen getrieben. Dass dahinter aber eine gewisse Logik steckt, verkennen die meisten. Denn wer sich verliebt, befindet sich oft jenseits der Vernunft. Da wird nicht logisch abgewogen oder sachlich nachgedacht. Da schlägt der Blitz binnen weniger Sekunden ein – oder eben nicht. Verantwortlich dafür, dass wir andere attraktiv finden, ist maßgeblich das sogenannte Beuteschema. Und das folgt durchaus bestimmten Gesetzmäßigkeiten. Laut Duden ist darunter das für »bestimmte Fleischfresser charakteristische Erkennen geeigneter Beutetiere« zu verstehen. Der Begriff stammt aus dem Tierreich und meint, als dass jede Tierart besondere Nahrungsvorlieben hat. So haben es Tiger auf Antilopen oder Elefanten abgesehen, Katzen jagen Mäuse und anderes Kleingetier.

Auf den Menschen übertragen ist mit Beuteschema gemeint, dass wir bestimmte Merkmale – zumeist äußerliche – bei einem anderen Menschen attraktiv finden, und ihn deswegen als passenden Partner sehen. Beim Flirten und vor allem bei der Partnersuche reagieren wir quasi automatisch auf bestimmte Signale, die uns gefallen. Das können die weizenblonden Haare einer Frau sein oder das markante Lachen eines Mannes. Hier liegt wirklich alles im Auge des Betrachters: Was einen Menschen für uns anziehend macht, ist sehr individuell und auch abhängig von der Situation, in der wir jemanden kennenlernen und wie wir gerade gestimmt sind.

Auf der Jagd nach der Liebestrophäe – woher stammt unser Beuteschema?

Unser Beuteschema ist tief in uns verwurzelt. Denn es rührt an Existenzielles: In Urzeiten entschied die Wahl des richtigen Partners über Leben und Tod. Für unsere Vorfahren war es ausschlaggebend, einen Partner zu finden, mit dem die Überlebenschancen optimiert werden konnten. Frauen suchten einen großen, starken Mann, der kämpfen und erfolgreich auf die Jagd gehen konnte. Männer bevorzugten robuste Frauen, die viele gesunde Kinder in die Welt setzen konnten.

So weit wir auch von damals entfernt sind, so sehr leitet uns noch heute dieses archaische Beuteschema. Auch wenn es keiner Frau mehr einen Überlebensvorteil bringt, wollen die meisten einen körperlich überlegenen Mann. Und Männer haben noch immer das Bild der gebärfreudig gerundeten Frau vor Augen.

Neben dieser urzeitlichen Prägung wird unser Beuteschema heute allerdings auch noch von anderen Faktoren beeinflusst:

  • Wir suchen automatisch nach einem »guten« Partner – und das ist aus evolutionärer Sicht einer, der die besten Aussichten für die Fortpflanzung bietet. Körpergröße und -beschaffenheit, sozialer Status und spezifisch männliche bzw. weibliche Eigenschaften deuten darauf hin.
  • Wir nehmen unsere erste Beziehung als Messlatte – und das ist die mit den eigenen Eltern, genauer: mit dem andersgeschlechtlichen Elternteil. Entweder suchen wir uns (unbewusst) einen Partner, der in Aussehen und/oder Charakter wie Vater oder Mutter ist, oder wir halten uns an das genaue Gegenteil. Beides sind Reaktionen auf die erste tiefe Bindung zu einem anderen Menschen, die Spuren in unserem Beuteschema hinterlässt.
  • Wir orientieren uns an unseren Erfahrungen – egal, ob sie gut oder schlecht waren. War unsere erste große Liebe schwarzhaarig und blauäugig, sind wir vielleicht auf ewig auf diese äußeren Merkmale fixiert. Ist die Beziehung dramatisch den Bach hinuntergegangen, kommt uns womöglich keine/r mehr mit diesem Aussehen über die Bettkante.
  • Wir arbeiten unser Ego ab – indem wir erobern. Auch das gehört zum Beuteschema: Wir testen unseren Marktwert, versuchen, das Herz eines Menschen zu »erjagen«. Und das manchmal wirklich nur, um sich der eigenen Attraktivität zu vergewissern.
  • Sozialer Druck beeinflusst unser Beuteschema ebenfalls. Wer sehr abhängig ist vom Feedback seines Umfeldes, dessen Zustimmung auch bei der Partnerwahl braucht, nimmt diese Kriterien in sein Beuteschema auf: Sozialer Status, Bildung und Ansehen werden unbewusst abgescannt und mit den Vorstellungen abgeglichen.

4 Erklärungen, warum das Beuteschema uns fehlleiten kann

  • Unser Beuteschema hat es nicht unbedingt auf einen Partner abgesehen, der gut für uns ist, sondern auf einen, der dem inneren Bild entspricht, das wir uns aus einer Vielzahl von Vorgaben gemacht haben. Diese festen Vorstellungen sind oft unrealistisch und beschränken uns: Wir übersehen infrage kommende Partner, weil wir nicht auf Anhieb auf sie abfahren.
  • Unser Beuteschema ist ein Sammelsurium aus verschiedensten, unbewussten Faktoren, darum taugt es nicht als Leitlinie für unser Handeln. Denn die Menschen, die wir attraktiv finden, sind nicht unbedingt die, mit denen wir in einer Beziehung glücklich werden. Vielmehr ist die bloße Fixierung auf äußerliche Kennzeichen ein Garant dafür, an den Falschen zu geraten – weil wir Dinge außen vor lassen, die für eine dauerhafte Bindung viel wichtiger sind, wie Charakter und Einstellung etwa.
  • Im Laufe des Lebens entwickeln wir uns und unser Beuteschema kann sich wandeln. Was wir mit Anfang Zwanzig gut finden, kann uns mit Mitte Dreißig nerven – und wir wundern uns, warum wir diesen Menschen mal attraktiv fanden. Zudem ist unser Beuteschema erstaunlich anpassungsfähig. Beispielsweise achten Männer auf andere weibliche Attribute, je nachdem, was sie suchen. Dies belegt eine britische Studie: Männer, die es auf ein kurzes erotisches Abenteuer abgesehen haben, bevorzugen demnach Frauen mit weichen, weiblichen Gesichtszügen. Suchen sie was fürs alltägliche Leben, lassen sie auch andere Formen gelten. Die Forscher vermuten, dass Männer bei der Partnerwahl unbewusst zwischen Charakter und Aussehen abwägen und bei einer längeren Beziehung stärker auf Verhalten und Persönlichkeit setzen als bei einer kurzen Affäre.
  • Letztlich ist unser Beuteschema auch der biologische Versuch, komplexe Dinge einfacher zu machen, indem sie auf einzelne Anhaltspunkte reduziert werden. Wenn wir uns von ihnen aber völlig leiten lassen, steuern wir geradewegs auf Enttäuschungen zu. Denn mit den rigiden Vorstellungen sind oft starre Erwartungen verbunden, die sich unter Umständen nicht erfüllen. Dies kann zu massiven Enttäuschungen führen, etwa, wenn wir feststellen, dass der Mensch, der scheinbar ganz in unser Beuteschema fällt, uns unglücklich macht.

Lieber den Bad Boy im Bett als den Nice Guy an der Hand – warum Frauen auf Machos stehen

Kommt die Sprache auf Beuteschema, ist schnell auch die Rede von Männern, die sich von ihrem Sexualtrieb leiten lassen und auf Frauen mit großen Busen, langen Haaren und langen Beinen fixiert sind. Oft wird die männliche Reaktion auf weibliche Attribute als primitiv abgewertet. Dabei wird auch das Partnersuchverhalten von Frauen ganz erheblich durch ihr Beuteschema beeinflusst. So hat sich in Untersuchungen gezeigt, dass Frauen allgemein auf den Machotyp, Marke Alphatierchen stehen – auch wenn sie behaupten, einen einfühlsamen, zurückhaltenden Partner zu bevorzugen. In ihr Beuteschema fällt der Sprüche klopfende Anführer eher als der verständnisvolle Softie.

Warum das so ist, erforschte die Konstanzer Psychologin Gilda Giebel in ihrer Doktorarbeit. Ihre Untersuchung befasst sich unter anderem mit der Frage, warum und wann Frauen männliche Dominanz attraktiv finden. Ausgangsbasis war die Tatsache, dass besonders durchsetzungsstarke Männer, Machos und rücksichtslose Männer eine große Anziehungskraft auf viele Frauen ausüben – auch wenn diese angeben, sich einen lieben und rücksichtsvollen Partner zu wünschen.

In ihren Studien kam Giebel zu diesen Ergebnissen:

  • Dominante Männer, sogenannte Macho-Typen lösen tatsächlich stärkere Verliebtheitsgefühle bei Frauen aus.
  • Für Frauen ist vor allem von Bedeutung, wie sich der Mann zu nahestehenden Personen verhält: Männer, die sich im engen Kreis eher kooperativ, fürsorglich und wenig dominant verhalten, wurden eher für ein Date ausgewählt und auch als Langzeitpartner gewählt.
  • Anziehend fanden Frauen klar zum Vorschein kommende männliche Dominanz vor allem bei unverbindlichen sexuellen Beziehungen.
  • Die meisten Frauen wollten mit dem Mann ausgehen, der sich vertrauenswürdig gegenüber nahestehenden Personen, aber dominant gegenüber fremden Menschen verhielt.

Fazit: Dann ändere doch Dein Beuteschema – geht das?

Ob wir es wollen oder nicht: Unser Beuteschema mischt bei der Partnersuche also kräftig mit. Der Münchner Paartherapeut Stefan Woinoff, Autor von »Überlisten Sie Ihr Beuteschema« meint, wir würden auch heute noch unbewusst einem steinzeitlichen Beuteschema folgen. Ein Resultat sei, dass viele Menschen keinen Partner finden – weil sie ein falsches Beuteschema haben. Sie folgen unbewusst irreführenden Vorstellungen, die zu vielem führen, nur nicht zu einem: dem passenden Partner. Was uns innerlich zu einem Menschen hintreibt, lässt sich nicht so einfach überlisten. Aber Sie können und sollten Ihre Prägungen hinterfragen, wenn Sie immer wieder an den »Falschen« geraten und sich von unpassenden Partnern angezogen fühlen:

  • Schritt 1: Beuteschema erkennen
    Wer weiß, auf was er wirklich steht, der kann sich selbst besser verstehen. Wenn gerade die Menschen Sie reizen, die in einer Beziehung offensichtlich schwierig sind, sollten Sie sich fragen, woher diese Fixierung kommt. Und ob Ihnen tatsächlich gefällt, was Sie da anzieht.
  • Schritt 2: Erfahrungen einbeziehen
    Der Bad Boy hat es Ihnen angetan, aber Sie hatten schon mal eine Beziehung mit so einem Typ und waren damit kreuzunglücklich? Dann lassen Sie sich diese Erfahrung eine Lehre sein und lernen Sie daraus, dass diese Art von Partner nichts für Sie ist, auch wenn Sie ihn verdammt scharf finden.
  • Schritt 3: Nicht von Äußerlichkeiten täuschen lassen
    Sieht heiß aus, zieht alle Blicke auf sich und ist auch noch sehr unterhaltsam – lassen Sie sich von Aussehen und Auftreten nicht täuschen, schauen Sie besser schnell hinter die Fassade. Wer auf den ersten Blick viel hermacht, ist bei näherem Besehen vielleicht trotz schönem Schein eine gewaltige Mogelpackung.
  • Schritt 4: Flirtradius erweitern
    Ja, es gibt Sie, die Kandidaten, die gleich in der ersten Runde rausfliegen. Weil sie nicht gut genug aussehen, nicht aufregend genug sind und auch sonst niemanden vom Rücker reißen. Versuchen Sie sich von starren Vorgaben zu lösen, flirten Sie auch mal mit jemandem, der optisch zunächst mal gar nicht in ihr Beuteschema fällt. Und bleiben Sie offen für das, was dann kommen kann. Manchmal heben Sie so unverhofft einen wahren Schatz.


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