Annabel Dillig im Interview

»Online-Dating liegt vor allem sehr rationalen, strukturierten Menschen«

Ein Gespräch mit der Autorin und stellvertretenden Chefredakteurin der GLAMOUR Annabel Dillig

In Zeiten der großen Liebesfreiheit sollte doch auch in Sachen Partnerschaft alles nach Lust und Laune gehen. Könnte man meinen. So einfach ist es aber nicht, das findet auch Annabel Dillig. Die Journalistin, Jahrgang 1981, hat ein so kluges wie unterhaltsames Buch geschrieben über die Generation der heute 30 bis 40-jährigen, die ihren emotionalen Einkaufskorb im riesigen Supermarkt der Liebesoptionen strategisch durchdacht und wohlüberlegt befüllen und erst nach genauer Abwägung damit zur Kasse rollen wollen.

Buchcover: Diesen Partner in den Warenkorb legen: Das neue Liebesverständnis einer vernünftigen Generation »Diesen Partner in den Warenkorb legen« heißt so auch bezeichnenderweise Annabel Dilligs Buch, in dem sie über das neue Liebesverständnis einer vernünftigen Generation berichtet. Wie suchen heute Singles nach Mr. oder Mrs. Right? Was haben die Medien verändert, welche Chancen bieten virtuelle Partnerbörsen und kann man eigentlich mit der Liebe rechnen, also durch schlaues Matching den Liebeskandidaten finden, der passt und bei dem die Rechnung wirklich langfristig aufgeht? Letztlich bleibt die Liebe doch immer noch ein unkalkulierbarer Faktor – wenn man das bei der modernen Partnersuche bedenkt, kann sie einem in der Tat ungeahnte Möglichkeiten bieten.

Wir haben mit Annabel Dillig über die Partnersuche ab dreißig, Rechenspiele in der Liebe und typische Onlinedater gesprochen.

Seitensprung-Fibel.de: In Ihrem Buch kann man sehr schön nachlesen, wie die heute 30 bis 40-jährigen das angehen mit der Partnerwahl. Wer suchet, der findet, könnte das Motto lauten. Aber ist das wirklich so, muss ich nur am richtigen Ort – virtuell oder analog – suchen, dann kann ich auch den passenden Partner aufstöbern?

Annabel Dillig: Nun, man kann zumindest die Wahrscheinlichkeit erhöhen. Zum Beispiel indem man an Orte geht – ob analog oder digital –, wo ein hoher Anteil an Singles herrscht. Das ist ja das größte Problem bei der Partnersuche ab 30: Wie stöbert man die auf, die noch oder wieder Single sind? Die unkomplizierten Arten, potentielle Partner kennenzulernen, werden mit zunehmendem Alter weniger, die Freundeskreise sind fester, die Leute gehen seltener aus, es gibt weniger Partys, man lernt nicht mehr automatisch neue Leute kennen. In diesen so genannten »thin dating markets« ist Online-Dating besonders wirkungsvoll. Das erklärt auch, warum so wenige Anfang Zwanzigjährige Online-Dating betreiben: Sie haben es schlicht nicht nötig.

Seitensprung-Fibel.de: Die 30 bis 40-jährigen seien heutzutage so gut über Liebe, Beziehungen und Sex informiert wie eigentlich keine Generation zuvor. Und daraus resultiere unter anderem auch ein anderes Liebesverständnis, nämlich ein vernünftiges: Die Liebe wird nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern man nimmt auch das ergebnisorientiert in die Hand. Kann denn die Vernunft eine gute Liebesberaterin oder gar Kuppelmutter sein?

Annabel Dillig: Ich finde es schon gut, dass sich die Leute heute mehr Gedanken machen, ob der Mensch, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen möchten, wirklich zu ihnen passt. Wir werden nicht mehr zwangsverheiratet und müssen auch nicht heiraten, um versorgt zu sein. Und mit dem Eingehen einer langen Beziehung oder Ehe gibt man ja auch bestimmte Freiheiten auf. Aber natürlich können Checklisten auch zu einem unguten Perfektionismus führen und den Blick verengen: Wer nach dem surfenden Arzt Ausschau hält, übersieht vielleicht den Volleyball spielenden Physiotherapeuten, der viel besser passen würde.

Seitensprung-Fibel.de: Kann man Ihrer Meinung nach an die Liebe mit Logik herangehen und ist Beziehung überhaupt planbar?

Annabel Dillig: Wie der Erfolg der Partnerbörsen zeigt, scheint zumindest die Partnersuche in gewisser Weise planbar zu sein. Die Liebe ist es sicher nicht.

Seitensprung-Fibel.de: Tollen Sex, tolle Gespräche und tolles Einkommen – will die Generation Überraschungsei einfach zu viel auf einmal?

Annabel Dillig: Ja, da ist etwas dran. Vor allem erwarten viele, dass eine Beziehung immer aufregend bleibt. Aber spätestens wenn ein Kind da ist, geht es nicht mehr darum, wer schmeißt wen leidenschaftlich auf den Küchentisch, sondern wer steht nachts auf, wenn das Baby schreit.

Seitensprung-Fibel.de: Früher war mehr Romantik: Die Phase vom ersten Blickkontakt bis zum ersten Sex konnte sich ganz schön lange hinziehen. Wie finden Sie es, dass es heute manchmal verdammt schnell geht, etwa, wenn man übers Internet potentielle Partner castet?

Annabel Dillig: Klar, in dem Moment, wo man für drei Monate Partnerbörse 180 Euro bezahlt, hat man natürlich keine Zeit zu verlieren und möchte möglichst schnell herausfinden, ob's passt. Andererseits würde ich aus eigener Erfahrung sagen, dass man ja auch ziemlich schnell weiß, ob es funkt...

Seitensprung-Fibel.de: Glauben Sie, die Chancen, einen Volltreffer in Sachen Liebe zu landen, steigen, wenn man sich zunächst per Algorithmus rein rechnerisch passende Kandidaten zuführen lässt?

Annabel Dillig: Nein. Die Chancen steigen, weil man aus einem großen Pool fischen kann und weil bei den Partnerbörsen fast nur Menschen angemeldet sind, die ernsthaft an einer Beziehung interessiert sind. Die Grundidee der Matching-Verfahren ist richtig: dass Ähnlichkeit in bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und Wertvorstellungen sich förderlich für die Chancen auf eine lange Beziehung auswirken. Aber die Umsetzung ist pseudowissenschaftlich, die Aussagen beruhen auf einer Selbstauskunft, das ganze Konzept ist zu simplifiziert. In meinen Augen dienen diese Verfahren vor allem als Rechtfertigung, dass die Partnerbörsen hohe Gebühren von den Mitgliedern verlangen können.

Seitensprung-Fibel.de: Das Internet ist in Sachen Liebe ja wohl Fluch und Segen zugleich. Es macht die Partnerwahl irgendwie leichter, den ganzen Liebesreigen aber ja auch oberflächlicher. Was überwiegt Ihrer Meinung nach?

Annabel Dillig: Ich bezweifle, dass das Internet die Liebe oberflächlicher gemacht hat. Früher hat man sich seine Partner nach dem Motto »Liebe vergeht, Hektar besteht« ausgesucht. Und das Aussehen war bei der Partnerwahl doch auch schon immer entscheidend. Vielleicht ist durch Facebook und Co. die Fähigkeit gewachsen, sich ein bestimmtes Profil oder Image zu geben, garniert mit vorteilhaften Bildern von sich und dem eigenen Leben. Aber wenn ich beim ersten Treffen lispele, schlecht rieche oder dem anderen kaum in die Augen schauen kann, dann nützt mir das alles nichts.

Seitensprung-Fibel.de: Ab einem gewissen Alter pressiert es dann doch mit der Liebe. Was sagen Sie nach Ihren Recherchen zum Thema: Gibt es einen Typus des Beziehungssuchers, für den (oder die) die Partnersuche via Internet besonders gut geeignet ist?

Annabel Dillig: Vielleicht war es nur ein subjektiver Eindruck, aber ich habe bei den Partnerbörsen, bei denen ich angemeldet war, überdurchschnittlich viele Ingenieure, Finanzbranchler und ITler ausgemacht und eher keine Kreativen. Ich würde mal vermuten, dass Online-Dating vor allem sehr rationalen, strukturierten Menschen liegt.

Seitensprung-Fibel.de: Mit der Liebe kann man trotz allem nicht wirklich rechnen – das ist ein Fazit von Ihnen. Warum eigentlich nicht?

Annabel Dillig: Weil zwei Menschen sich manchmal zueinander hingezogen fühlen, ohne dass man es erklären kann. Zum Glück! Geruch, Humor, Timing – gibt's ja auch noch, nicht nur Persönlichkeitsmerkmale und Werte. Und das sind sehr wackelige Faktoren.

Seitensprung-Fibel.de: Im Internet kann ich aus meinem Übergewicht sexy Üppigkeit machen und meine intellektuellen Defizite als praktische Veranlagung kaschieren – werden wir zwangsläufig in Zeiten der Partnerwahl im Internet zu kleinen Narzissten, die mehr Genuss an einer erfolgreichen Selbstdarstellung, als an einer echten Beziehung mit den üblichen ups and downs haben?

Annabel Dillig: Da ist schon was dran. Studien konnten zeigen, dass mehr als 80 Prozent der Nutzer von Online-Dating-Seiten schummeln und sich besser darstellen. Ein Schuss, der nach hinten losgeht. Denn niemand will den enttäuschten Blick des anderen sehen, wenn man sich zum ersten Mal trifft. Entscheidend ist das, was beim ersten realen Aufeinandertreffen passiert. Das Internet ist nur der Ort, wo das ganze organisiert wird.

Liebe Frau Annabel Dillig, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!



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