Unserer Buchtipp des Psychoanalytikers Dr. Wolfgang Schmidbauer
Die heimliche Liebe. Ausrutscher, Seitensprung, Doppelleben
Kurzbeschreibung
Der Volksmund weiß viel davon zu erzählen, in überliefertem Liedgut ist sie Thema, sie beschäftigt Dichter und Denker seit Urzeiten: die heimliche Liebe. Aber was ist das überhaupt? Ist damit das zarte Gefühlsgebinde gemeint, das Verliebte am Beginn einer Beziehung flechten und vor anderen erstmal verbergen? Oder muss man darunter Liebe verstehen, die sich im Verborgenen nimmt, was ihr eigentlich nicht zusteht? Der renommierte Psychologe Wolfgang Schmidbauer nähert sich diesen Fragen besonnen. Auf hohem intellektuellem Niveau begutachtet er das Phänomen heimliche Liebe und erklärt, warum sie uns so fasziniert und zugleich so viel Kummer bereitet.
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An wen richtet sich diese Buchempfehlung?
- Für alle, die das Heimliche an der Liebe schätzen, bewundern oder fürchten
- Wer eine wissenschaftlich-objektive Meinung zu Liebesausrutschern und Seitensprüngen hören möchte
- Wenn Sie selbst heimlich geliebt haben oder lieben
- Wenn Ihr/e Partner/in eine Affäre hatt(e)
- Für alle, die sich auch für die kulturgeschichtliche Seiten von heimlicher Liebe, Ausrutschern, Seitensprüngen und (Liebes-)Doppelleben interessieren
Erkenntnisse aus diesem Sachbuch
Die Heimlichkeit ist eine große Gefahr für die Liebe aber auch die Antriebsfeder für leidenschaftliche Gefühle. Jede Liebe entsteht zunächst im Verborgenen. Das macht ihren Reiz aus und bewahrt eine Exklusivität der Gefühle. Ist die Beziehung aber unter Dach und Fach, verschwindet mit der Heimlichkeit oft auch die Erotik. Seitensprünge, Affären und Liebesausrutscher stellen besonders die Exklusivität unserer Liebesgefühle in Frage, sagt Wolfgang Schmidbauer. Die Lebendigkeit in einer Beziehung kann erstarren, wenn Partner sich nicht die Anregungen geben können, die sie brauchen, es aber aus Pflichtgefühl versuchen.Treue bietet zwar augenscheinlich ein Maximum an Sicherheit. Aber zugleich auch ein Minimum an Spannung.
Produktinformationen
- Titel: Die heimliche Liebe. Ausrutscher, Seitensprung, Doppelleben
- Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
- Verlag: rororo; Auflage: 6 (2. April 2001)
- ISBN-10: 3499611295
- ISBN-13: 978-3499611292
- Preis: EUR 8,99
Ausführliche Beschreibung
Nichts brennt so heiß wie heimliche Liebe
Briefchen unter der Schulbank, in Baumrinden geritzte Herzchen oder verschämte Blicke: Wer ein Auge auf jemanden geworfen hat, verleiht seinen Gefühlen in der Regel erstmal heimlich Ausdruck. Schließlich will man mit seinem Innenleben ja nicht gleich hausieren gehen, sich lächerlich machen oder eine Zurückweisung kassieren. Wir alle fangen unsere Beziehungskarriere so hintersinnig an. Das geht los bei den Schwärmereien in Jugendtagen, schreibt Wolfgang Schmidbauer: Ob man einen Popstar anhimmelt, den Nachbarsjungen toll findet oder in die Schwester des Freundes verschossen ist – normalerweise verbergen wir unsere Gefühle erstmal.
Diese Art der heimlichen Liebe sei so eine Art Probeliebe, also der Versuch, in der Phantasie mögliche Liebesszenarien durchzuspielen. Das ist das eine. Das andere aber ist einem gewissen altmodischen Aberglauben geschuldet. Denn gibt man von seinen Liebesgefühlen erstmal nichts preis, kann sie einem auch niemand abspenstig machen.
Das tun wir auch in höherem Alter und anderen Beziehungsumständen noch. Denn wer in einer festen Partnerschaft heimliche Liebesgefühle für Dritte gesteht, muss mit einer Beziehungsabmahnung rechnen. Absolute Offenheit kann fatal sein. Wer zugibt, einen anderen als den ihm angetrauten Partner zu begehren, der begibt sich in einenTabubereich der Liebe.
Erwischt: Wenn heimliche Liebe kein Geheimnis mehr ist
Das Liebesgeplänkel in frühen Jahren hat natürlich eine ganz andere Qualität als das Beziehungsverhalten in reiferem Alter. Wer in einer festen Partnerschaft steckt, der hat andere Motive für die Verheimlichung seiner Gefühle, wenn er diese nicht für den offiziellen Partner hegt. Also neigen wir in reiferem Alter dazu, außerplanmäßige Liebesgefühle geheim zu halten. Aus Selbstschutz und zur Beziehungsbestandswahrung. Vielleicht aus Rücksicht oder auch aus Scham.
Wir alle, so belegt Schmidbauer, seien in unserem Liebesleben gesteuert von Konventionen, von den Erwartungen anderer, von Erlerntem, Erlebtem und vor allem von unseren Wünschen. Gerade die machen uns bisweilen in langjähirgen Beziehungen das Liebesleben schwer. Denn auf Dauer lassen sich unsere heimlichen Begierden nicht mit dem Liebesalltag vereinen. Das eine exisitiert nämlich im Verborgenen, während das andere nur allzu sichtbar ist.
Wer nun heimlich neben der Beziehung liebt, tut dies aus Selbstschutz. Bereits gebundene Liebende, so formuliert es Schmidbauer, fürchten um ihren Ruf, haben Angst vor Kritik oder gar Liebesentzug. Mit all dem hat derjenige durchaus zu rechnen, der andere Partner neben dem eigenen begehrt. Drum hält er solche Gefühle in der Regel eher geheim. Im Wesen des Geheimnisses liegt, dass es nicht an die Öffentlichkeit kommt. Erfahren andere etwa von einer Liebschaft, tritt diese aus der Geheimnissphäre heraus und wird für alle sichtbar. Damit hat es sich dann manchmal auch mit dem Reiz derselben.
Das ist also die Krux dabei: Die Heimlichkeit macht Liebe erst so richtig spannend und prickelnd. Ist die Beziehung aber unter Dach und Fach, verschwindet mit der Heimlichkeit oft auch die Spannung und damit letztlich die Erotik. Denn die, schreibt Schmidbauer, lebe von der Heimlichkeit, vom Abstand der Partner, von einer Distanz, die Nähe so begehrenswert macht. Im Klartext: Je weniger Geheimnisse Paare voreinander haben, umso eher schwindet der Heimlichkeitsfaktor, der einen Gutteil der Attraktivität bedingt.
Wenn heimliche Liebe die Kernbeziehung stärkt
Blendet man moralische Überlegungen mal aus, gibt es laut Schmidbauer im Einzelfall durchaus eine Berechtigung für eine heimliche Liebesaffäre außerhalb der Kernbeziehung. Bleibt die Affäre geheim, so biete sie dem einen Partner seinen ersehnten Freiraum und damit eine Möglichkeit, Neues zu erleben oder alte Erlebnisse aufzufrischen, die gemessen an der Realität des Paares nur ihm gehören.
Die eigentliche Beziehung kann von einer Affäre profitieren, gesetzt den Fall, der oder die Seitenspringer/in übernimmt Verantwortung für sein Tun. Wie genau das geschehen kann, lässt sich nicht pauschal sagen – es hängt nicht zuletzt vom Miteinander des Paares ab. Ob die nützlichen oder die schädlichen Aspekte einer heimlichen Liebschaft für die Beziehung überwiegen, bleibt wohl Interpretationssache. Grundsätzlich ist es aber laut Schmidbauer durchaus möglich, erotische Tiefen in Beziehungen damit zu umschiffen. Denn bedingungslose Treue biete zwar augenscheinlich ein Maximum an Sicherheit, aber zugleich auch ein Minimum an Spannung: Bin ich mir einer Person mehr als gewiss, verliert sie auf Dauer vielleicht den erotischen Reiz – das »Geheimnisvolle« fehlt.
Die Treue birgt auch eine veritable Gefahr, meint Schmidbauer. Diese liege in der Erstarrung der Lebendigkeit und der Entwicklungsmöglichkeiten der Partner: Wenn sie sich gegenseitig nicht die Anregungen geben können, die sie eigentlich bräuchten, aber aus Pflichtgefühl oder Anstand versuchen zu ersetzen, was ihnen fehlt.
Lob der Orgie: Wie unsere Vorfahren mit heimlichen Begierden umgingen
Noch kurz ein Wort zu unseren ehrwürdigen Vorfahren: Die wussten nämlich mehr über das Wesen der heimlichen Begierden als uns heute lieb ist. Und gingen doch recht pragmatisch mit diesen erotischen Bedürfnissen um. Organisierte Orgien mit erotischen Ausschweifungen, die von der Gesellschaft legitimiert waren, konnten vor Urzeiten den Hunger nach heimlichen Begierden durchaus stillen.
In den sogenannten Primitvkulturen wurden bei diesen kollektiv begangenen Ausschweifungen sexuelle Gesetze per Konsens außer Kraft gesetzt, Wissenschaftler bezeichnen diese Orgien als Ventilsitten, die als periodische erotische Exzesse die alltägliche Einhaltung der herkömmlichen Regeln sicherten.
Die heimliche Liebe, so Schmidbauer, erscheint sozialgeschichtlich als inoffizielle, individualisierte Nachfolgerin solcher Orgien. Affären, Seitensprünge und Fremdgehen sind also auch Ausdruck eines recht archaischen Bedüfnisses nach sexuellem und erotischem Regelbruch. Kein Wunder also, dass sie in unserem modernen Leben eine so große Rolle spielen.
Vom Spielen auf mehreren (Liebes-) Instrumenten
Von Zahlen und Fakten zu Seitensprüngen, Fremdgehen und Ehebruch hält Schmidbauer wenig. Er vergleicht lieber wie Hamlet die Beziehung eines Menschen mit der zu einem Musikinstrument. Wir können uns auf ein einziges Instrument konzentrieren und virtuos darauf spielen. Oder wir scheitern daran. Das Gleiche kann uns mit mehreren Instrumenten passieren: Entweder haben wir Erfolg oder wir spielen alle nur mittelmäßig.
Wenn wir uns ausschließlich einem Musikinstrument widmen, können wir zwar all unsere Energie darauf verwenden, es perfekt zu spielen. Wenn das Instrument aber nicht zu uns passt, mühen wir uns vielleicht vergebens damit ab. Und werden nie erfahren, ob vielleicht ein anderes Instrument besser zu uns gepasst hätte.
Übertragen auf die heimliche Liebe bedeutet das: Wir können daran scheitern oder aber dadurch gewinnen. Wichtig ist, wie verantwortungsvoll wir mit unseren geheimen Begierden umgehen und den Mut haben, zu unseren Gefühlen zu stehen.