Beziehungssucht und Co-Abhängigkeit: Erfahrung einer Betroffenen

Ein Paar eingeengt in einem übergroßen Marmeladenglas

Blinde Liebe – eine Betroffene berichtet über Ihre Erfahrungen

Susanne* brauchte Jahre, um zu erkennen, dass sie liebessüchtig war. Die heute 37-Jährige glaubte lange Zeit, es sei einfach Pech, dass ihre Beziehungen immer einen dramatischen Touch hatten. Ihr Wunsch nach einer glücklichen Partnerschaft war dermaßen ausgeprägt, dass sie alles dafür tat. Irgendwann wurde der Leidesdruck zu groß – und zwang Susanne, einen Ausweg aus der Liebessucht zu suchen. Hier erzählt sie ihre Geschichte.

»Beziehungsmäßig war ich eine Spätentwicklerin«, sagt Susanne. Erst mit 24 Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt, der sei allerdings verheiratet gewesen und habe nach wenigen Monaten mit ihr Schluss gemacht«. Das war meine erste Liebeskatastrophe, ich hab damals gedacht, wenn ich schöner, schlauer, lieber gewesen wäre, dann hätte er seine Familie für mich verlassen«, erinnert sich Susanne. Es läge an ihr, glaubte sie und schlitterte gleich in die nächste unglückliche Beziehung – und das mehrmals in Folge. »Immer haben die Männer mit mir Schluss gemacht. Mal weil sie angeblich noch an der Ex hingen, dann weil sie noch nicht so weit waren. Oder einfach weil es gefühlsmäßig von ihrer Seite aus nicht passte«, erzählt Susanne.

Jahrelang beziehungsmäßig unter Wert verkauft

Die Folge sei gewesen, dass sie sich jedem Typen an die Brust warf, der sie auch nur lieb anschaute. »Du kriegst ja eh keinen besseren ab, dachte ich. Also habe ich mich immer unter Wert verkauft.«  

Als sie dann Martin kennenlernte, schien ihr plötzlich das Liebesglück hold. »Die ersten Wochen waren ein einziger Rausch, ich war sicher, dass ich die große Liebe gefunden habe«. Dass Martin oft viel trank und dann ziemlich ausfällig wurde, nahm sie hin. Auch als ihr Freund anfing, sie vor anderen zu demütigen und ständig an ihrem Aussehen herummeckerte, meinte sie, es sei ihre Schuld: »Er hat ja Recht, dachte ich. Ich hab's nicht anders verdient«. Die Warnung ihrer besten Freundin schlug Susanne in den Wind, irgendwann brach sie zu ihr und anderen Freunden den Kontakt ab »Irgendwie hab ich mich auch geschämt«, bekennt sie.

Aus den Quälereien ihres Freundes wurde irgendwann pure Gewalt – auch da versagten Susannes Alarmglocken. »Als er mir die erste Ohrfeige verpasste, weil ich seiner Meinung nach das falsche Kleid angezogen hatte, war ich schockiert. Aber ich liebte ihn, konnte und wollte ohne ihn nicht leben. Also dachte ich: Das ist halt so eine Phase, Augen zu und durch«. Aus der Phase wurden anderthalb Jahre – die sich Susanne im Nachhinein nicht mehr erklären kann.

»Klar habe ich furchtbar gelitten, für die wenigen wirklich schönen Momente hab ich meist bitter büßen müssen«. Wie ein Drogenjunkie auf der Suche nach dem nächsten Schuss habe sie immer wieder Martins Nähe gesucht. Die Menschen, die etwas von ihrem Beziehungsleben mitbekamen, schüttelten den Kopf. »Ich hab dann alles vertuscht, niemandem etwas von meinen Problemen erzählt. Die haben ja eh gedacht, ich spinne, weil ich bei dem bleibe«.

Kreislaufkollaps mit guten Folgen

Aus eigener Kraft konnte sie sich nicht befreien. Aber ihr Körper spielte irgendwann nicht mehr mit. »Ich hab Panikattacken bekommen, konnte nicht mehr schlafen und fing selber an, zuviel zu trinken«. Ein Kreislaufkollaps war die Folge – und die Rettung für Susanne. Denn ihre Hausärztin bemerkte, dass mehr dahinter steckte. »Ihr konnte ich mich anvertrauen«. Die Diagnose Liebessucht stellte allerdings niemand. Wegen eines Burn-outs wurde Susanne behandelt. In der Therapie sei dann herausgekommen, wo die Wurzeln allen Übels liegen: »Für mich war es ein totaler Schock, meine Liebessucht zu erkennen«, sagt Susanne.  

Mit Unterstützung eines Therapeuten gelang es ihr, sich von Martin zu trennen und postiv in eine Beziehungszukunft zu blicken. Heute steht Susanne zu ihrer Liebessucht – die im Fall Martin zwar längst überwunden ist. »Aber ich bin mir schon im Klaren darüber, dass es wie bei anderen Süchten auch ist: Ich bin sozusagen trockene Liebessüchtige und muss immer aufpassen, nicht wieder in unglückliche Beziehungen zu geraten«.

Am meisten habe ihr geholfen, dass sie in der Therapie wieder zu sich selbst gefunden und neues Selbstwertgefühl geschöpft habe, betont Susanne.

»Da hab ich dann erkannt, dass man mich lieben kann – und ich keinen hohen Preis dafür zahlen muss!«

*Name von der Redaktion geändert

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