Sind Sie mit einem notorischen Fremdgänger zusammen?

Mann mit einem Lippenstiftabdruck auf dem Hemdkragen

Notorisches Fremdgehen als Lebenskonzept

»Er liebte in seinem Leben zwei Frauen: seine Ehefrau und alle anderen Frauen.« Mit diesem Worten beschreibt Kultregisseur Tim Burton in seinem Fantasydrama »Big Fish« die Hauptfigur Edward Bloom.

Auch im aufgeklärten Hier und Jetzt scheint notorisches Fremdgehen ein Männerthema zu sein. Laut der einer Studie des Göttinger Psychologen Ragnar Beer mit mehreren Tausend Teilnehmern betrügen 22 Prozent aller Männer ihre Partnerin während einer Beziehung häufiger als 3 Mal, während dies nur 15 Prozent der Frauen tun. Kann man bei dreimaligem Ausbrechen schon von notorischem Fremdgehen sprechen? Was steckt hinter dem unwiderstehlichen Drang, heimliche Parallelbeziehungen zu führen? Und lässt sich ständiges Seitenspringen wirklich mit Sexsucht erklären?

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»Liebling, ich kann einfach nicht anders«

Mitnehmen was geht. Jagdinstinkt. Trophäensammlung. Sexsucht. Es gibt allerlei Bezeichnungen für notorisches Fremdgehen, jedoch versteht darunter nicht jeder das selbe. Deshalb an dieser Stelle eine kurze Erklärung. Mit notorischem Fremdgehen ist kein wilder Lebensstil mit offenen Parallelbeziehungen und häufig wechselnden Sexualpartnerinnen gemeint. Sondern es bezeichnet mehrere Seitensprünge und heimliche Affären neben einer langjährigen Basisbeziehung, für die ursprünglich Monogamie vereinbart wurde. Wäre das nicht der Fall, könnte man nicht von Fremdgehen sprechen, weil die sexuellen Außenkontakte ja mit Wissen und Einverständnis des Partners stattfinden.

Weil wir gerade beim Faktensammeln sind: Frauen gehen etwas häufiger fremd als Männer! Zumindest laut der Göttinger Studie hatten 55 Prozent der befragten Frauen und 49 Prozent der Männer in ihrer aktuell bestehenden Beziehung schon einen Seitensprung. Einen auffallenden geschlechtsspezifischen Unterschied gibt es allerdings: Frauen sind eher Einmal-Seitenspringer, während Männer zu den Wiederholungstätern gehören, also mehrmals hintereinander die selbe Partnerin betrügen. Meist trotz Aussprache, Reue und dem Versprechen, dass es nicht wieder vorkäme. Also doch eine Art Verhaltenssucht?

Ist Sexsucht ein Grund für’s notorische Fremdgehen?

Derzeit gilt es schon fast als schick, einen zügellosen Lebensstil als Sexsucht zu bezeichnen und ihn dadurch in den schulmedizinischen Bereich zwischen Drogen-, Kauf- und Spielsucht zu rücken. Motto: »Ich bin krank und kann nicht anders.« Was im Einzelfall durchaus zutreffen kann, hat sich leider zum Trend entwickelt. Ob Jesse James, Ron Wood, Michael Douglas, Bill Murray, David Duchovny oder Tiger Woods: Sexsüchtig ist ein Attribut, das Medienpräsenz garantiert. Gefolgt werden diese Outings gerne davon, sich vor laufenden Kameras in einer Spezialklinik anzumelden, danach einige Zeit abzutauchen und sich nach medikamentengestützter Therapie als geläutert und beziehungsfähig zu bezeichnen.

Was aussieht wie ein löblicher Weg zur Besserung, ist in Wirklichkeit eine Flucht vor dem eigentlichen Problem. Im Fokus liegen nur die Symptome, nämlich der übersteigerte Sextrieb und die offenkundige Bedürfnis nach Bestätigung. Die zugrunde liegende Ursache bleibt dabei leider unberührt. Diese ist längst nicht so gazettentauglich wie die schlüpfrigen Skandälchen um heimliche Sextreffen. Doch wer das Thema wirklich verstehen will, sollte sich davon abwenden und sich statt dessen einen langen Blick auf die Anfänge der eigenen Biografie gönnen.

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Die Schlüssel zum Fremdgehen liegt in der Kindheit

Kein Mann beschließt bewusst, ein notorischer Fremdgänger zu werden. Die Veranlagung zum »mehrgleisig Fahren« und die Unfähigkeit, monogame Bindungen zu genießen, sind Ergebnisse prägender Einflüsse zwischen dem 3. und 12. Lebensjahr. Dabei müssen nicht zwangsläufig schwere Traumata wie sexueller Missbrauch oder Misshandlung zugrunde liegen.

In weitaus mehr Fällen findet die negative Prägung unterschwellig statt: durch emotionale Kälte innerhalb der Familie, eine unaufrichtige Elternbeziehung, verdrängte Konflikte, Scheidung bzw. Partnerwechsel mit Machtspielchen, die von feinfühligen Kinderseelen erspürt und als unangenehme Dissonanz empfunden werden, selbst wenn beide Elternteile versuchen, den Konflikt zu verbergen. Für Erwachsene sind diese emotionalen Höhen und Tiefen nicht wirklich existentiell bedrohlich. Kinder hingegen, die nicht wissen, was genau da abläuft, können die wahrgenommenen Unstimmigkeiten nicht einordnen und ziehen ganz eigene, fatale Schlüsse daraus: Nähe bedeutet Stress, Unsicherheit, Unaufrichtigkeit. Eine traurige Erkenntnis, mit fatalen Folgen für's spätere Beziehungsleben.

Die Wahrscheinlichkeit, den Partner zu betrügen, liegt zwischen 40 und 76 Prozent

Der Zusammenhang zwischen Fremdgehen und Bindungsangst wurde schon vielfach vermutet, allerdings ohne echte wissenschaftliche Grundlage, sondern basieren auf Einzelfallstudien. Nun führte Geneviève Beaulieu-Pelletier an der Universität von Montréal zum ersten Mal eine diesbezügliche Großstudie durch.

Ergebnis: »Die emotionale Bindung, die wir zu anderen haben, ist mit der Zuneigung verbunden, die wir von den Eltern während der Kindheit empfangen haben«, so Beaulieu-Pelletier.

Die Forschungsarbeit bestand aus vier Einzelstudien. Im ersten Schritt wurden 145 Personen im Durchschnittsalter von 23 untersucht. Hiervon dachten 68 Prozent bereits ans Fremdgehen, und 41 Prozent waren bereits aktive Fremdgänger. Als Hauptmotiv nannten alle die sexuelle Befriedigung. Im zweiten Schritt gaben 270 Personen im Alter von 27 Jahren Auskunft über ihr Sexualverhalten. 54 Prozent wollten schon mal fremdgehen, 39 Prozent setzten es in die Tat um. Ebenfalls aus rein sexuellen Gründen. Gefolgt wurden die beiden Studien durch zwei Umfragen, in denen die Untreuen nach ihren Motiven befragt wurden. Überraschung: Hier spielte die sexuelle Neugier plötzlich keine Rolle mehr, sondern auf Platz 1 der Gründe stand der Wunsch, sich aus einer als zu eng empfundenen Beziehungsnähe zu lösen! Beaulieu-Pelletier: »Menschen mit unstetem Bindungsverhalten sind Individuen, die sich bei Intimität unwohl fühlen.«

Fremdgehen als Schutz vor zuviel Nähe

Es geht also beim notorischen Fremdgehen nicht allein um Spaß und Sex. Ein Mensch, der als Kind in der intimsten familiären Schutzzone keine emotionale Stabilität und Sicherheit empfindet, assoziiert als Erwachsener eine innige Beziehungsnähe genau mit den selben Eigenschaften – und meidet sie folglich wie der Teufel das Weihwasser. Entkoppeln lässt sich diese Wahrnehmung nur, indem sich der Betroffene das Thema bewusst macht und ggf. mit therapeutischer Hilfe auslöst. Wer sich dem nicht stellt, riskiert dauerhafte Verletzungen, und zwar auf allen Seiten.

Denn Fremdgehen verletzt. Ob es nun heimlich, ohne Wissen des Partners stattfindet und irgendwann ans Licht kommt oder ob der »Basispartner« bewusst wegschaut und versucht, die ständigen Seitensprünge des Fremdgängers zu ignorieren. In beiden Fällen wird die Nähe und Intimität einer Zweierbeziehung verletzt, aufgebrochen und, wenn das Fremdgehen zum Lebenskonzept wird, dauerhaft zerstört.

Die Intimität einer Beziehung stellt eine emotionale Schutzzone dar, die normalerweise die Liebe eines Paares nach außen hin abgrenzt. Diese Schutzzone bildet einen abgesicherten Rahmen, in dem beide Beteiligten sich einander vorbehaltlos anvertrauen und ohne Schauspielerei öffnen können. Notorische Fremdgänger erleben genau diese Nähe nicht als angenehm, sondern aufgrund entsprechender Prägung als einengend, bedrohlich – und flüchten.

Warum bleiben notorische Fremdgänger nicht einfach Single?

Die Frage liegt auf der Hand. Dennoch schrecken vor allem Männer vor der Erkenntnis zurück, bindungsunfähig zu sein und keine echten Zweierbeziehungen eingehen zu können. Um dazu zu stehen, gehört eine gewisse Kaltblütigkeit, sich Konventionen zu widersetzen, und auch den potenziellen Partnerinnen reinen Wein einzuschenken, wenn sie sich mehr erhoffen als »eine von vielen« zu sein. Weil diese Auseinandersetzung mehr Kraft kostet als ein wohlorganisiertes Doppelleben, führen die meisten bindungsunfähigen Männer ein bequemes Leben als notorische Fremdgänger.

Klassische Konstellation: Die Ehefrau als stabile Homebase erfüllt die Funktion einer Energietankstelle und Mutter-Ersatz, während die ständigen Außenbeziehungen für den erotischen Kick und genügend Egopolitur sorgen. Das ständige Hin und Her im Spannungsfeld zwischen häuslicher Intimität und aufregenden Außenbeziehungen. Dieses Spannungsfeld wird von Menschen mit einem gesunden Nähe-Empfinden als stressig empfunden, bedeutet aber für Bindungsunfähige ein wahres Biotop. Weil es eben nicht um Sex geht, sondern darum, bei Bedarf Nähe zu »konsumieren«, sich aber jederzeit wieder daraus verabschieden zu können und sich dadurch zu beweisen, diese Nähe nicht wirklich zu brauchen.

Und, so paradox es klingt: Bindungsunfähige Menschen können nicht allein sein. Dabei wäre genau das Alleinsein therapeutisch am wertvollsten. Nur dann lässt sich die zwanghafte Untreue aufarbeiten und beleuchten. Zurückgeworfen auf sich selbst, ohne sichere Homebase, ohne Mutti-Ersatz, bei dem man(n) sich zwischen zwei Affären ausweinen und erholen kann.

Leidensdruck, Soulsearching und Depressionen

Der Krug geht so lange zum Brunnen... usw. Notorische Fremdgänger, die ihr Verhalten noch nicht reflektiert haben, leben ihr Muster genau so lange, wie es ihnen von außen ermöglicht wird. Zu den wichtigsten Ermöglichern gehören eine wegschauende, leidensfähige Ehefrau und eine unkomplizierte, anschmiegsame Geliebte. So lange sich für beide Rollen die passenden Darsteller finden, bleibt ein notorischer Fremdgänger seinen Prinzipien treu. Gegen aufkeimende Selbstzweifel hilft die Anerkennung, welche durch die jeweilige Geliebte vermittelt wird. Und sollte es hier einmal zu emotionalen Zwickmühlen kommen, bietet das behagliche Zuhause mit der duldsamen Gattin ein warmes Nest. So lange, bis die nächste Affäre am Horizont erscheint ...

Sie finden, das klingt nicht sonderlich romantisch? Stimmt, ist es auch nicht. Auch wenn notorische Fremdgänger das Wort Liebe sehr gerne und häufig strapazieren, mit wahrhaftiger Liebe hat dieses Verhalten wenig zu tun. Hier greift sogar die abgenutzte These vom narzisstischen Egomanen, der nicht einmal sich selbst liebt. Liebe und Lügen gehen nun einmal nicht zusammen.

In diesem Zusammenhang ein wichtiger Hinweis: Liebespartner sind keine Therapeuten! Falls Sie selbst zum notorischen Fremdgehen neigen und sich in diesem Moment fragen, ob Sie daran etwas ändern wollen, dann suchen Sie sich Hilfe von außen. Bürden Sie das Thema nicht Ihrem Partner auf. Es gibt Psychotherapeuten, die auf Bindungsunfähigkeit spezialisiert sind. Wenn Sie mögen, beziehen Sie Ihre Partnerin mit ein, doch im ersten Schritt sollten Sie zuerst dafür sorgen, sich selbst einen Freiraum zu schaffen, in dem Sie in aller Ruhe an das Thema herangehen können. Fremdgehen, Bindungsangst und etwaige Kindheitstraumata sind Ihre Privatsache, und Sie haben auch innerhalb einer Beziehung das Recht auf Ihre eigene Privatsphäre.

Richtiger Umgang mit notorischen Fremdgehern

Träumen Sie davon, eines Morgens aufzuwachen und statt des Fremdgängers einen ehrlichen, loyalen treuen Mann neben sich vorzufinden? Vergessen Sie’s. Versuchen Sie auch nicht, an ihrem Partner herumzuerziehen, zu therapieren oder das Problem auszusitzen und auf Besserung zu hoffen. Damit bewirken Sie eher eine Stabilisierung des Doppellebens.

Für den Umgang mit notorischen Fremdgängern gibt es drei Möglichkeiten:

  • Wegschauen, totschweigen und still leiden
  • Gemeinsam reflektieren, therapeutisch aufarbeiten und eine absolut ehrliche Kommunikation darüber führen, ob und wie die Beziehung weiterhin gelebt werden kann
  • Trennung

Wenn Sie an dieser Liebe festhalten und mit ihrem Partner zusammenbleiben wollen, müssen Sie sich für eine der drei Varianten entscheiden und diese dann auch konsequent umsetzen. Wobei die erste natürlich die schmerzhafteste ist. Sie untergräbt auf Dauer Ihr Selbstwertgefühl und kann in eine selbstzerstörerische Co-Abhängigkeit führen, wie man sie von Angehörigen von Alkohol- und Drogensüchtigen kennt. Die dritte tut nicht weniger weh, ist aber bei unvereinbaren Beziehungswünschen manchmal unvermeidlich. Variante Nr. 2 erfordert viel Kraft, Selbstkritik und Offenheit, weil es hier keine allgemeingültigen Regeln und Muster gibt, dem Sie einfach folgen können, sondern eine ganz individuelle Lösung für Sie als Paar erarbeitet werden muss.

Eine Erfolgsgarantie gibt es auch hier nicht. Doch der Lohn für die Mühe kann ein dauerhaft erfülltes, ehrliches Beziehungsleben sein, bei dem keiner von beiden mehr auf der Strecke bleibt. Viel Glück dabei!

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