Lust auf fremde Haut und wie Partner damit umgehen können

Verheirateter Mann lechzt nach dem Körper einer Arbeitskollegin

Seitensprung: Lust auf fremde Haut – oder doch viel mehr?

Hand aufs Herz: Warum gehen wir fremd? Der Leiter des Institutes für Sexualtherapie in Aachen/Heidelberg Ulrich Clement sagt: »Männern und Frauen geht es beim Seitensprung nicht nur um Sex. Das könnten sie anders haben. Sie bräuchten nur zu masturbieren.«

Ist das so? Sehnen sich Männer und Frauen, die aus einer festen Partnerschaft ausbrechen, nach mehr als rein körperlicher Lust auf fremde Haut? Ist eine solche Partnerschaft per se defizitär? Oder ist ein Seitensprung auch bei einer rundum glücklichen Partnerschaft möglich? Und sind offene Beziehungen eine Möglichkeit, den klassischen Betrug und seine Folgen zu verhindern?

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Monogamie ist eine Frage der Perspektive

Ob mit oder ohne Trauschein, die meisten Paare treffen für sich eine Vereinbarung, was sexuelle Treue angeht. Die klassische Monogamie ist eine Form, die nach wie vor am häufigsten vereinbart wird, vor allem bei verheirateten Paaren mit Kindern. Leider ist genau diese Konstellation aber auch die, in der am häufigsten heimlich betrogen wird. Solange die sexuelle Harmonie zwischen den Partnern stimmt, ist Monogamie nicht mit Verzichtsempfinden verbunden. Hält jedoch der Frust im Ehebett Einzug, z.B. weil bei frischgebackenen Eltern immer mehr häusliche Pflichten, Babypflege, Stress und Zeitmangel jede Romantik vertreiben, entsteht ein emotionales – nicht primär sexuelles – Defizit, und der Keim für einen Seitensprung ist gelegt. Kommt es dann zur schicksalhaften Außenbegegnung, und sind sexuelle Kontakte zu Dritten per Absprache ausgeschlossen, rückt die Begegnung automatisch in den Bereich der Heimlichkeit – der Betrug beginnt. Und zwar nicht allein der sexuelle.

Nun leben wir in einer Zeit, in der klassische Familien- und Beziehungsstrukturen aufbrechen, weil sie sich als überholt entpuppen. Da die klassische Monogamie einige Fallstricke birgt, erfreut sich ein relativ junges Beziehungsmodell immer größerer Beliebtheit: die emotional monogame, sexuell offene Beziehung.

Wie offen sind offene Beziehungen?

Die Frage müsste eigentlich lauten: Wie verbindlich sind sie. Körperliche Nähe bedeutet nicht nur Sex. Sondern Intimität, Vertrauen, Zärtlichkeit. Wird diese tiefe, vertrauensvolle Intimität mit immer neuen Außenpartnern geteilt, verliert sie das Besondere, Verbindende in der Basis-Partnerschaft. Manche Paare entscheiden sich dennoch für dieses Modell.

Diese Form der Partnerschaft gesteht beiden Beteiligten sexuelle Außenkontakte zu, die jedoch nach klaren Regeln abzulaufen haben. Keine emotionale Bindung, keine langfristigen Affären, die eine Alternative zur Basis-Partnerschaft darstellen könnten. Im Gegenzug auch keine Eifersucht. Die Idee dahinter: Wenn Seitensprünge ohne Lügen und Betrug stattfinden können, bleibt die Loyalität zwischen den Partnern unangetastet, das Vertrauensverhältnis intakt.

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Emotionales Hintergrundrauschen: Schattenmänner und Schattenfrauen

Durch Frauenforen und Sex-Chats geistert seit einigen Jahren ein geheimnisvolles Wort: der Schattenmann. Hierbei handelt es sich nicht um einen Mafia-Agenten, sondern um eine von Frauen ins Leben gerufene neue Bezeichnung für heimliche Affären. Begriffe wie Seelenverwandtschaft, Zwillingsbeziehung, Seelenpartner und ähnliche Schwergewichte werden herangezogen, um das erotische, aber auch sehr emotionale Verhältnis zu diesem einen Menschen zu definieren. Während Männer eher pragmatisch von Fremdgehen sprechen, scheinen viele Frauen das Bedürfnis zu haben, ihre außerehelichen Aktivitäten zu ritualisieren, zu etwas Hehrem zu überhöhen.

Auffällig ist dabei: Kaum eine der Betroffenen ist nach eigener Aussage glücklich damit. Die Threads und Berichte über Schattenbeziehungen, die gegenüber dem eigentlichen Partner meist als platonische Freundschaften dargestellt werden, sind geprägt von Schmerz, Verzweiflung und unerfüllter Sehnsucht. Gleichzeitig wird von Liebe, von tiefem Vertrauen gesprochen – und von Zerrissenheit, weil natürlich Schuldgefühle und Zweifel gegenüber der Basis-Beziehung bestehen. Der Ausgang dieser Geschichten ist ebenso stereotyp wie die Darstellungen: Aufgrund der enormen Spannung scheitern häufig erst die Schattenbeziehungen und dann die Basisbeziehung. Bislang wurde kein Fall öffentlich, in dem sich eine Geliebte für die Liebe zu ihrem Schattenmann entschied und die Basis-Partnerschaft beendete. Aber warum sucht überhaupt jemand nach einer nervenzerfetzenden Außenbeziehung? Woher rührt die Sehnsucht nach dem »Schatten«?

Liegen die Gründe für Außenbeziehungen immer in der Partnerschaft?

Liebe wird nicht weniger, wenn man sie mit anderen Menschen teilt. Und wir alle wissen, dass es möglich ist, mehrere Menschen aufrichtig zu lieben, ohne dass einem Basispartner dadurch etwas weggenommen wird. Die Sehnsucht, verstanden zu werden, erkannt und geliebt zu werden, ist so alt wie das Menschsein selbst. Insofern sind Außenbeziehungen oder tiefe Freundschaften, die mit Seelenverwandtschaft etc. erklärt werden, nichts Verwerfliches, sondern im Gegenteil etwas Schönes und sehr menschlich. Was, wenn es ehrlich verkommuniziert wird, sogar eine Bereicherung für die Basispartnerschaft darstellen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Seelenverwandtschafts-Sache nicht nur als Camouflage für eine schnöde sexuelle Affaire missbraucht wird. Und der betrogene Partner dadurch gleich zweifach hinters Licht geführt wird.

Ulrich Clement sagt: Nur eine defizitäre Beziehung bietet Raum für einen Seitensprung. Wenn die Balance zwischen ruhiger, emotionaler Heimat und aufregender Leidenschaft nicht mehr stimmt, dann erwacht die Unruhe. Das Gefühl, etwas zu verpassen. Und die Anfälligkeit für fremde Verführungskünste.

Ist es wirklich so einfach? Diese Logik erinnert etwas an die 60er Jahre. Damals riet man betrogenen Ehefrauen noch, sie mögen doch bitte von Vorwürfen absehen und Verständnis für den Gatten zeigen, denn die Ursachen für die »Fremdgehlust« ihres Mannes lägen ja schließlich in mangelnder Attraktivität, sexueller Inaktivität oder nachlassenden Leistungen als Hausfrau und Gastgeberin begründet. Anderslautende Studien und Umfragen kommen glücklicherweise zu einer anderen Schlussfolgerung, nämlich: Ein Seitensprung oder mehrfaches Fremdgehen ist nicht zwangsläufig »persönlich« gemeint! Das heißt, selbst in einer harmonischen, erfüllten, rundum glücklichen Partnerschaft kann es einen von beiden erwischen. Eine Begegnung im Alltag, eine Zufallsbekanntschaft im Internet, es kann überall geschehen. Die richtigen Worte, eine bestimmte Geste, der Klang einer Stimme, eine bestimmte Musik, ein Geruch - und schon »funkt« es. Kopfkino. Unabhängig davon, wie defizitär oder glücklich die Beziehung zuhause ist. Dieses spontane Verlieben und Kribbeln hat nichts mit Liebe zu tun, schließlich kennt man den anderen überhaupt nicht. Es geht vielmehr um eine unterschwellige, archaische Anziehungskraft. So ernüchternd es klingt, aber: Wir haben ihn nicht unter Kontrolle, diesen »Crush«, der uns ohne Vorwarnung umhauen kann.

Was wir unter Kontrolle haben, ist der weitere Verlauf. Ein One-Night-Stand? Ein minutenkurzer Fremdflirt? Eine heimliche Affäre? Eine Freundschaft? Oder gar eine neue Liebe? Diese Optionen sind keine reinen Instinkthandlungen mehr, sondern bewusst wählbar. Und das ist dann wiederum sehr persönlich, denn hier entscheidet jeder einzelne, wie wichtig ihm die Loyalität zum Partner ist – und wie wichtig das neue, aufregende Erlebnis mit dem oder der Unbekannten. Wer also beschließt, es auf einen Seitensprung ankommen zu lassen, obwohl in der Basispartnerschaft Monogamie vereinbart wurde, tut dies bewusst und in dem vollen Wissen, den Partner zu hintergehen.

Nicht der Seitensprung zerstört eine Ehe, sondern die Lügen danach

Der sexuelle Reiz des Neuen vergeht so schnell, wie er entstand. Was bleibt, ist ein emotionaler Kater. Auch hierzu hat Ulrich Clement eine klare Meinung und sagt, durch Verheimlichen auf Fremdgeher-Seite und »respektvolles Wegsehen« auf Betrogenenseite könne man eine Affäre, die das Leben in der Partnerschaft nicht beeinträchtige, durchaus handhaben. Respektvolles Wegsehen und Verheimlichen? Dieser Terminus sorgt für schalen Beigeschmack. Vertrauen braucht Ehrlichkeit. Wer »respektvoll wegschaut«, aber still leidet, belügt sich selbst und den fremdgehenden Partner. Einmaliges Fremdgehen ist in vielen Fällen verzeihlich, doch monatelanges Lügen nicht, egal in welche Richtung.

Klartext: Ein Seitensprung kann jedem passieren. Da ist diese Tagung im Hotel mit lustigem Abendprogramm, die (ebenfalls verheiratete) Kollegin, die ausnahmsweise keinen Hosenanzug, sondern ein supersexy Cocktailkleid trägt, und auf die man eigentlich insgeheim schon lange scharf ist – und plötzlich ist es zwei Uhr früh, man landet im Hotelbett und hat den besten Sex seines Lebens. Leidenschaftlich, geil, menschlich, verzeihlich. Keiner von uns ist ein Heiliger. Und dann? Bleibt es beim One-Night-Stand, und ist eine Wiederholung von beiden Beteiligten nicht vorgesehen, dann ist Schweigen hier eventuell tatsächlich Gold – immer vorausgesetzt, es wurde an den Schutz vor Schwangerschaft und Geschlechtskrankheiten gedacht!

Wird aber aus dem heißen Hotelzimmer-Sex eine längerfristige Außenbeziehung, ist ein Verheimlichen gegenüber dem Partner unentschuldbar. Denn eine heimliche Affäre entzieht der Basisbeziehung permanent Energie und schwächt diese dadurch immens. Der Betrügende muss stets auf der Hut sein, nicht erwischt zu werden, lügt permanent, muss den Partner Zuhause in Sicherheit wiegen, verändert sein Verhalten, zwar nur subtil, aber für den Partner – und Kinder, die in diesem Punkt besonders feine Antennen besitzen – durchaus spürbar. Der betrogene Partner registriert dies natürlich, weiß es aber nicht einzuordnen, wird unsicher, misstrauisch, beginnt nachzufragen – und der Teufelskreis aus Lügen und immer neuen Unklarheiten beginnt. Dramatisch wird die Sache, wenn der Fremdgeher seinem ratlosen betrogenen Partner gar einredet, er sei paranoid, krankhaft eifersüchtig oder hätte eine falsche Wahrnehmung.

Fliegt die Lüge dann auf, ob durch E-Mails, SMS oder Kollegentratsch, so ist nicht etwa die sexuelle Affäre ein Todesstoß für die Beziehung, sondern die Gewissheit, vom geliebten Partner über Monate oder gar Jahre belogen worden zu sein. Ganz wichtig: Heimliches Fremdgehen ist immer ein Machtinstrument, weil der Betrogene in die Defensive gedrängt wird, ohne es zu wissen. Nur wenn der Betrogene die Fakten kennt, hat er die Wahl, frei zu entscheiden, ob er die Beziehung beendet, den Seitensprung verzeiht – oder man sich gar auf ein völlig neues Beziehungsmodell einigt. Dies ist aber nur einvernehmlich möglich.

Ehrlichkeit nach allen Seiten – auch gegenüber sich selbst

Eine monogame Beziehung ermöglicht beiden Partnern, sich einander gegenseitig vollkommen zu öffnen, anders als dies beim Seitensprung möglich ist, wo es ja immer auch um ein wenig Schauspielerei geht. Liebende Partner offenbaren sich beim Sex, geben sich bis ins Intimste zu erkennen, lassen sich fallen – weil sie wissen, der andere fängt sie auf. Besteht dennoch Lust auf fremde Haut, so nützt es weder, dieses Verlangen dem Partner zuliebe zu unterdrücken, noch sollte der Weg in die Heimlichkeit gewählt werden. Betrug und Selbstbetrug sind gleichermaßen destruktiv. Weil es eben nicht nur um Sex geht.

Es gilt daher wie bei allen anderen Beziehungsthemen: Karten auf den Tisch und reden, bevor es etwas zu beichten gibt. Vielleicht plagen den Partner ja gerade zufällig ähnliche Gedanken? Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, einen Seitensprung im »abgesicherten Modus« zu erleben, also mit Einverständnis des Partners? Vielleicht möchte der Partner ja einfach nur seinen Marktwert testen? Vermisst sexuelle Bestätigung, Bewunderung, Anerkennung ohne die leidige Verknüpfung mit familiären Pflichten? Vielleicht finden sich völlig neue sexuelle Spielformen, mit denen sich die Lust auf fremde Haut stillen lässt?

Liebe und Treue lassen sich nicht mit einer »Verkehrsordnung« reglementieren, egal wie ausgeklügelt diese ist. Doch Partner, die sich einander vertrauensvoll öffnen und sich über ihre heimlichen Bedürfnisse und Sehnsüchte austauschen, genießen das Privileg, diese im Idealfall auch angstfrei und genussvoll ausleben zu können – was das beste Rezept für eine lange, stabile und glückliche Beziehung ist.



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