»Liebe ist immer eine Teamaufgabe, in der man Kompromisse finden muss«

Paartherapeut und Autor Dr. Wolfgang Krüger im Interview

Macht und Liebe gehören zusammen – in jeder Beziehung bringen beide Partner das eigene Machtpotenzial ein und steuern damit die Partnerschaft, oft ganz unbewusst. Wohin das führt, ist abhängig davon, wie die Machtprozesse ablaufen.

Hier setzt Dr. Wolfgang Krüger an: In seinem Buch »Liebe, Macht und Leidenschaft. Die Erfolgsregeln für fairen Konfliktausgleich in der Partnerschaft.« erklärt er, wie sich Macht zeigt, wann sie zu einem Ungleichgewicht führt und wie es zwei Menschen gelingen kann, eine gute Balance zu finden.

In Beziehungen kommt bei aller Liebe immer Macht ins Spiel: Jeder hat individuelle Bedürfnisse und Wünsche, die er auch gegen den Widerstand des Partners durchsetzen will. Dazu werden manchmal harte Geschütze aufgefahren. Von beharrlichem Schweigen über Beleidigtsein und Klagen bis hin zu Respektlosigkeit und Sexverweigerung reicht das Spektrum.

Das muss nicht immer ein Signal dafür sein, dass die Partnerschaft am Ende ist. Denn Machtprozesse sind auch wichtig, sie können für Spannung sorgen und immer wieder dazu beitragen, dass zwei Menschen sich gemeinsam entwickeln und ihre Partnerschaft zu mehr Erfüllung findet.

Aber wie genau kann das gelingen? Krüger liefert in seinem Buch eine klare Analyse der Machtprozesse in Beziehungen und erklärt ausführlich, wie ein Paar damit konstruktiv umgehen kann. Erkenntnis, meint der renommierte Paartherapeut, sei immer die beste Hilfe. Verhaltensmaßregeln betrachtet er als einschränkend, sie seien der Feind der eigenen Erfahrung. Aber in seinem Buch gibt er eine Orientierung, sensibilisiert für das Thema und regt dazu an, eine Lösung für die eigenen Probleme zu finden.

Interview geführt am 30.09.2016

Die Seitensprung-Fibel: Warum spielt das Thema »Macht« in einer Beziehung eine so große Rolle?

Dr. Wolfgang Krüger: In allen Beziehungen – nicht nur in Unternehmen und der Politik, sondern auch in der Liebe – spielt Macht eine Rolle. Das hat damit zu tun, dass wir unterschiedliche Bedürfnisse haben, so dass unvermeidlich Konflikte entstehen. Es ist legitim, dass ich meine Bedürfnisse durchsetzen will, aber im Sinne der Partnerschaft ist dies nur sinnvoll, wenn ich gleichzeitig auf die Bedürfnisse des anderen eingehe. Es macht aber keinen Sinn, diese Konflikte zu unterdrücken, dann wird eine Beziehung langweilig. Man muss lernen, fast heiter zu streiten, also beharrlich – ohne sich gegenseitig zu verletzen.

Die Seitensprung-Fibel: Sind wir denn alle kleine Machiavellis, die sich in der Liebe mit aller Gewalt durchsetzen wollen, oder gibt es Menschen, die besonders dazu neigen, in Beziehungen ihre Macht auszunutzen?

Dr. Wolfgang Krüger: Wir brauchen in einer Partnerschaft viel Sozialkompetenz, aber auch ein eigenes Ego – also Selbstbewusstsein und Durchsetzungsfähigkeit. Es gibt Menschen, die vor allem Sozialkompetenz haben, das sind die netten, die immer im Leben zu kurz kommen. Und die Ego-Typen sind meist narzisstische Persönlichkeiten, die vor allem an sich denken. Sobald sie sich verletzt fühlen, sobald es schwierig wird, denken sie in den Strukturen der Macht.

»Wer weniger liebt, schaut sich die Beziehung manchmal mit einer größeren Reserviertheit an und kann sich leichter trennen«

Die Seitensprung-Fibel: Wer sitzt eigentlich in einer Beziehung am längeren Hebel: Der, der weniger liebt, oder der, der mehr liebt?

Dr. Wolfgang Krüger: Wer weniger liebt, schaut sich die Beziehung manchmal mit einer größeren Reserviertheit an und kann sich leichter trennen. Dadurch hat er mehr Macht. Aber wer mehr liebt, kann mehr durch seine Anstrengungen, durch leidenschaftliche Worte, durch seine persönlichen Entwicklungen sehr viel bewirken. Insofern ist er stärker, wenn er die Ohnmachtsfallen überwindet, die es in jeder Partnerschaft gibt.

Die Seitensprung-Fibel: Was sind Ihrer Meinung nach denn verheerende Machtverhältnisse in der Liebe?

Dr. Wolfgang Krüger: In einer Partnerschaft sollten unsere Grundbedürfnisse nach Liebe, Anerkennung und Sexualität in Erfüllung gehen. Es deutet auf massive Machtprozesse hin, wenn der Partner in seinem Verhalten völlig versagend ist. Leider lässt sich das häufig am Anfang der Beziehung nur schwer erkennen, weil Machtprozesse oft sehr versteckt ablaufen. Und wenn dann die Partnerschaft durch Machtverhältnisse bestimmt wird, ist es schwierig, sie zu ändern. Die Stimmung ist dann so distanziert und respektlos, jeder denkt nur an sich, so dass eine Trennung nahe liegt.

Wichtig wäre, sich nicht an Streitpunkte zu gewöhnen. Wenn der Partner immer zu spät kommt, keine Anerkennung gibt, Termine vergisst – sollte man dies ansprechen. Wenn sich dann nichts ändert, ist es eindeutig Macht.

Die Seitensprung-Fibel: Gibt es denn auch »gute« Machtverhältnisse?

Dr. Wolfgang Krüger: Ja, natürlich. Dann sind zwei Menschen zusammen, die über eine fundierte Persönlichkeit verfügen. Jeder ist dann eigenständig, kennt die eigenen Wünsche, und dann ringt man oft lange aber fair um die guten Kompromisse.

Die Seitensprung-Fibel: Dass man nicht immer an einem Strang zieht und oft einer dominanter ist, scheint in Beziehungen normal zu sein. Woran erkennt man, dass ein regelrechter Machtkampf herrscht?

Dr. Wolfgang Krüger: Es wäre schön, wenn eine Machtverteilung ausgewogen ist. Aber meist redet einer mehr, bestimmt mehr, übt mehr aktive Macht aus. Doch der andere wehrt sich meist mit stillen Machtprozessen: Er gibt wenig Anerkennung, ist emotional zurückhaltend und vergisst Termine. Den Machtkampf erkennen wir dann daran, dass keiner mehr auf den anderen eingeht, dass man sich gegenseitig sogar mit Respektlosigkeiten verletzt. Liebe ist immer eine Teamaufgabe, in der man Kompromisse finden muss. Wenn dies beide aus dem Auge verlieren und nur noch kämpfen, entgleist der Machtkampf.

Die Seitensprung-Fibel: Beim Stichwort »Macht in der Liebe« denkt man gleich an emotionale Erpressung. Wie gefährlich ist es, wenn Partner sich gegenseitig mit Gefühlen unter Druck setzen, um eigene Bedürfnisse durchzudrücken?

Dr. Wolfgang Krüger: Es ist gefährlich, den anderen zu sehr unter Druck zu setzen. Wenn wir zu sehr mit Stimmungen arbeiten, d.h. verärgert oder traurig oder eifersüchtig, dann beschädigen wir die Beziehung. Aber wir können auch eine lebendige Spannung herstellen, indem wir unsere eigenen Lebensprojekte verwirklichen, Freundschaften pflegen und attraktiv sind. Dann stellen wir eine emotionale Situation her, die der Zeit der Verliebtheit ähnelt, wo der andere fast alles für uns tat, um uns zu gewinnen.

Die Seitensprung-Fibel: Sex hat unter Umständen viel mit Macht zu tun: Was ist, wenn sich ein Partner dem anderen immer wieder körperlich verweigert, wenn Sex zum Druckmittel wird?

Dr. Wolfgang Krüger: Sex als Druckmittel ist heute glücklicherweise seltener als früher. Dafür macht der Sex den meisten Menschen zu viel Spaß. Den Sex verweigern sie eher, wenn sie sich nicht verstanden fühlen, wenn Zärtlichkeiten fehlen, wenn Gespräche misslingen. Insofern ist ein Rückzug in der Sexualität oft das Resultat einer fast vergifteten Beziehung. Jeder kennt doch nach Streitigkeiten den Wunsch: »Bitte fass mich heute Abend im Bett nicht an«.

»Und hier gilt: Es hat der die Macht, der weniger Sex möchte«

Die Seitensprung-Fibel: Ist also die Ansage »Nein, Schatz, heute nicht!« ein klarer Versuch, den Partner mit Sexentzug zu manipulieren?

Dr. Wolfgang Krüger: Wir sollten beim Sex nicht zu viel Macht ausüben, sonst wird es eine Pflichtnummer. Ob die Verweigerung Macht ist, erkennen wir erst im Laufe der Zeit. Wenn also er oder sie nach einer Woche, nach 14 Tagen noch immer keine Lust hat, sieht das nach Macht aus. Und hier gilt: Es hat der die Macht, der weniger Sex möchte. Meist hat dieser in der Kindheit gelernt, Macht durch Verweigerung herzustellen. Dann macht man keine Schularbeiten, kommt zu spät und redet wenig, um die Macht der Eltern einzuschränken. Und später schränkt man den Partner ein, indem man auf sein Begehren nicht eingeht. Oft will man erst dann, wenn der andere längst resigniert hat. Hier hilft meist nur eine Strategie: Abstand herstellen, so dass der Verweigerer jene unkomplizierte Beziehung nicht bekommt, die er sich wünscht. Dadurch ändert man die Machtverhältnisse so, dass der distanzierte Partner wieder Sehnsucht bekommt. Das Gummibandprinzip (Wenn Du weg bist, bekomme ich Sehnsucht) beginnt zu wirken und die Macht ist wieder ausgeglichen.

Die Seitensprung-Fibel: Welche Tipps haben Sie für Paare, die ein ausgewogenes Machtverhältnis in ihrer Beziehung schaffen wollen?

    Dr. Wolfgang Krüger:
  • Jeder sollte eigene Freundschaften haben, weil dies Machtprozesse dämpft und Abhängigkeiten verringert, die immer dazu führen, dass einer zum ‚Opfer‘ wird.
  • Jeder sollte sich überlegen, inwiefern er durch seine Kindheit gelernt hat, zu sehr zu bestimmen oder sich zu viel gefallen zu lassen.
  • Wir sollten lernen, gute Kompromisse einzugehen.
  • Regelmäßige Gespräche über Unstimmigkeiten in der Partnerschaft reduzieren Machtprozesse.
  • Das wichtigste ist aber ein Gefühl der Verbundenheit, ich muss mit dem Partner gelegentlich lachen und vor allem Humor haben, damit man die Ecken und Kanten des anderen erträgt.
  • Und zum Schluss: Wir sollten wissen, dass es immer Machtprozesse gibt. Doch am wichtigsten ist, dass wir unsere Interessen realisieren wollen und mit dem Leben kämpfen und nicht zu sehr mit dem Partner.

Lieber Herr Dr. Wolfgang Krüger, wir danken Ihnen herzlich für dieses Gespräch!

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