Buchvorstellung: Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie

Lieb doch wie du willst – was bedeutet Treue und wie leben wir sie? Friedemann Karig antwortet mit wahren Liebesgeschichten und wohl dosierter Theorie. Wir lieben sein Buch!

Mit oder ohne Treue: So leben wir heute die Liebe

Liebe ist schwer, Beziehung anstrengend, Treue ein Ding der Unmöglichkeit. Keine Sorge, auch wenn Friedemann Karig ähnliche Ansagen macht, ist sein Buch alles andere als eine negative Analyse der Liebeslage der Nation. Karig, 1982 geboren, erkundet intelligent unterhaltsam, was hinter unserer Treueverdrossenheit steckt und wie Alternativen zum herkömmlichen Monogamiemodell aussehen können. Das liest sich richtig gut.

»Fremdgehen ist nichts Besonderes.
Irgendwann, kann man meinen,
irgendwann betrügen sich doch alle.
Weil die Beziehung zu eng ist.
Oder nicht eng genug.
Irgendein Grund findet sich immer.
Weil es 1.000 Gründe gibt, fremdzugehen.
Und nur einen, treu zu bleiben.«

Friedemann Karig

Die Inhalte dieser Buchrezension:

Nein, dies ist erfreulicherweise kein weiteres Buch über Beziehungswahnsinn und Risiken und Nebenwirkungen großer Gefühle. Und auch kein Handbuch für treueträge Menschen, kein Ratgeber für Enttäuschte und auf gar keinen Fall Werbung für irgendein Konzept von offener oder freier Liebe. Karig ist kein Dr. Love, keiner, der Tricks oder Zaubersprüche kennt, die anderen verborgen bleiben. Er hat nur zusammengetragen, »was sich da draußen in der vermeintlich modernen Liebeswelt so zuträgt.«. Nämlich Berichte von Menschen, die von ihrer Liebe erzählen, die mal wie im Rausch kommt, mal schwer ist, dann wieder leicht. Die aber immer die Grätsche machen muss zwischen Treue und dem Bedürfnis nach Freiheit.

Diese wahren Begebenheiten wurden Karig bei Drinks und Zigaretten, unter viel Lachen und ein paar Tränen zugetragen von denen, die es wirklich betrifft. Er dokumentiert diese ungewöhnlichen Liebesgeschichten, räsoniert dazwischen über Liebe, Sex und Sinn- beziehungsweise Unsinn der Monogamie, wofür er etliche psychologische, biologische, historische und viele andere Erklärungsansätze zurate zieht. Das macht sein Buch zu einem von der Sorte, die man sich mühelos einverleibt und am Ende viele wertvolle Impulse daraus mitnimmt.

Buchvorstellung: Wie wir lieben. Vom Ende der Monogamie.

Darum geht's:

Monogamie ist statistisch gesehen ein Desaster: Jede zweite Ehe wird geschieden, Beziehungen halten durchschnittlich vier Jahre. Warum halten wir fest an einem Modell, das so offensichtlich nicht funktioniert? In anderen Bereichen hätte man es angesichts solch katastrophaler Bilanzen schon längst abgeschafft.

Fakt ist:

  • Während die Welt immer komplizierter wird, bleiben unsere Beziehungen einfach.
  • Wir sind freier als jemals zuvor, nutzen diese Freiheit aber nicht.
  • Uns fehlen Alternativen, schreibt Karig, Begrifflichkeiten, Definitionen.
  • Die »offene Beziehung«, die »freie Liebe«, die »wilde Ehe« haben schon als Begriffe einen seltsamen Beiklang

Darum handelt Karigs Buch von dem, was gehen kann, vom Lieben und Loslassen und davon, was Freiheit für uns in Bezug auf Sex und Liebe bedeutet, und wie wir sie nutzen (können).

Dabei geht es Karig nicht darum, Monogamie zu verteufeln und Polygamie zu bewerben. Er will die Gedankenbasis dafür liefern, dass sich jeder Mensch die Freiheit nimmt, selbst zu entscheiden, wie er lieben möchte – und kann.

 

Dieses Buch ist etwas für Sie, wenn…

  • … viele Theorien und Ansichten über Liebe, Sex und Treue auf einen Schlag lesen wollen, ohne belehrt zu werden,
  • …Sie eine Mischung aus Zeitdokument, philosophischen Exkurs und kritischem Essay mögen,
  • …Sie erfahren wollen, wie Paare Beziehungen leben, die freier und offener sind sind, aber nicht völlig aus dem monogamen Rahmen fallen.

So ist der Inhalt strukturiert:

Aufgeteilt das Buch in sechs Abschnitte, die von einem Prolog und einem Epilog umrahmt werden. Jeder Abschnitt enthält den Bericht eines Paares über ihre Erfahrungen auf der Suche nach einer Liebe, die anders ist und frei.

[1] Sex, in letzter Zeit

  • Der Teil befasst sich mit Sexualität, wie sie in heutigen Zeiten gelebt – oder eben nicht gelebt wird.
  • Karig erklärt, wie wir Sex und Beziehungen konsequent mit Bedeutung aufladen und Sex zum Symbol wird für eine umfassende, lebenslange Treue. Wir alle wollen Sex, abwechslungsreichen Sex und zwar mit mehreren Partnern. Weil das aber unserem monogamen Beziehungsideal widerspreche, seien wir ratlos, unglücklich und unbefriedigt.
  • Wir wissen: Es ist normal, dass auch eine gute Beziehung sexuell stagnieren kann. Wir glauben aber: Man kann daran arbeiten und muss sich nur richtig anstellen, damit es wieder aufregend wird. So bemühen sich manche Paare unentwegt darum, sich wieder spannend füreinander zu machen.
  • Früher oder später interpretieren die meisten das Schwinden der Lust zu einem Menschen dann doch als Schwinden der Liebe. Manche akzeptieren, dass Sex keine so große Rolle mehr spielt. Und viele andere gehen fremd, z.B. online über diskrete Seitensprung-Portale.

[2] Sex, damals

  • Früher hatte Sex eine andere Bedeutung, Beziehungen waren wichtig, um das Überleben zu sichern. Dabei wurden männlicher und weiblicher Sexualität unterschiedliche Motive unterstellt – Karig greift sämtliche stein- und neuzeitliche Theorien zur Sexualität auf und spiegelt sie vor der heutigen Beziehungsrealität.

[3] Eifersucht

  • Wo Liebe ist, kehrt Besitzdenken ein – und damit die Eifersucht. Niemals sei die Angst vor Betrug, Verletzung, Verlust größer gewesen als heute, schreibt Karig. Das liege an unserem romantischen Liebesideal, aber auch an den unendlich vielen Möglichkeiten, attraktive Menschen und damit potenzielle Partner kennenzulernen.
  • Außerdem spielt unser Selbstwertgefühl eine große Rolle: Viele Menschen definieren sich über den Partner, dessen Verlust oft als Scheitern empfunden wird. Dann sollten wir uns fragen, worum es uns in der Beziehung geht: um den anderen oder uns? Um gemeinsame Weiterentwicklung oder Macht?

[4] Liebe

  • Kommen zwei Menschen zusammen, passiert verdammt viel. Innere Alarmknöpfe werden gedrückt, Achillesfersen getreten, wunde Punkte mit Salz bestreut, Dämonen geweckt und Abgründe ausgelotet, schreibt Karig. Und keine Beziehung sei jemals sicher und auf Ewigkeit gepoolt. »Es gibt immer eine Alternative zu der Liebe, an der wir gerade hängen. Das wissen wir. Das fürchten wir.«
  • Der Anspruch, den Partner fürs Leben zu finden, ist eigentlich vermessen. Denn im Moment der Verliebtheit sind wir gar nicht imstande, einzuschätzen, wie »haltbar« unsere Liebe ist. Außerdem sollen wir mit einer Festlegung auf einen Partner Gefühle in die Zukunft projizieren und darauf basierend eine wichtige Entscheidung treffen.
  • Diese Entscheidungsfindung sei heute komplizierter denn je. Zur Erklärung führt Karig das »Paradox of Choice« an: Je mehr Auswahl wir haben, desto unglücklicher sind wir. Denn je größer die Auswahl, desto größer sei auch die »vorweggenommene Reue« einer falschen Entscheidung.

[5] Treue

  • Ist der Mensch für Treue eigentlich geschaffen? Diese uralte Frage erörtert Karig. Außerdem überlegt er, ob wir Monogamie überhaupt noch brauchen.
  • Unsere Antwort auf das »Problem« sei die serielle Monogamie: Wir haben im Leben mehrere Partner, aber nicht gleichzeitig, sondern hintereinander. Karig bezeichnet dies als einen cleveren Trick, auf unsere Kosten zu kommen und doch monogam zu sein.
  • Und weil selbst das heute nicht immer reibungslos klappe, schieben wir Beziehungsunfähigkeit, Bindungsangst und andere neumodische »Sündenböcke« vor. Dabei weigern wir uns zu akzeptieren, dass sich Liebe verändert. In langjährigen Beziehungen werde sie fast zwangsläufig immer mehr zu Freundschaft, meint Karig.
  • Der Seitensprung sei dann wie ein Schwung frischer Luft in einem vor Jahren gesunkenen U-Boot. Und er sei der Kontrast zu dem, was Gewohnheit ist. Hinzu kommt, dass wir alle nach Selbsterweiterung suchen: Wir wollen Neues kennenlernen, um unser Selbst weiterzuentwickeln, wir sind neugierig und darum anfällig für die Reize Fremder.

[6] Freiheit

  • Offene Beziehungen sind keine Ausnahmeerscheinungen mehr. Aber noch immer haftet ihnen etwas Verruchtes, Unnatürliches an. Das liegt unter anderem daran, dass die monogame Beziehungsform noch immer diejenige ist, die uns am normalsten, schönsten und erstrebenswertesten erscheint. Dabei könnten wir uns heute die Freiheit nehmen, selbst zu beurteilen, wie normal, schön und erstrebenswert Monogamie für uns persönlich ist.
  • Wenn wir uns sexuell und romantisch beschränken, betrügen wir uns um zählbares Glück, schreibt Karig. Als westlich Privilegierte sollten wir Verantwortung für uns selbst über- und den inneren Kampf mit den in uns steckenden tradierten und sozialisierten Normen und Werten aufnehmen, damit wir so lieben können, wie es wirklich gut für uns ist.

Das steckt drinnen:

Monogamie ist schwierig – wissen wir. Und wir haben mittlerweile dank vielseitiger Aufklärung auch eine Ahnung, warum es uns so schwer fällt, ewig einem Partner treu zu bleiben. Logisch wäre also die Suche nach etwas anderem, einer Alternative, die letztlich das gleiche bewirken soll, was wir uns von der Monogamie erhoffen: Sie soll uns bitteschön irgendwie glücklich machen.

Darum geht es eigentlich in diesem Buch. Es erzählt von der Liebe, »die mehr will« und mehr wagt, indem sie die Zweierbeziehung öffnet – diesem Erfahrungsfundus nähert sich Karig ohne programmatische Schlagworte.

Herzstück sind wahre Begebenheiten: Verschiedene Paare erzählen, was sie zwischen großer Liebe, Treuewunsch und Freiheitsbedürfnis (er-)lebt haben. Darunter sind Geschichten von Liebenden, die erkannt haben, dass sie nicht treu sein können, Berichte von offenen Beziehungen und solche von Paaren, die mehrere Menschen lieben. Alle haben sie eines gemeinsam: Fremdgehen und Seitensprung sind für sie keine Bedrohung ihrer Liebe. Denn sie sprechen darüber, setzen sich mit ihren Gefühlen auseinander und handeln letztlich einen Konsens aus.

Am Ende sei die Monogamie keinesfalls, betont Karig. Im Gegenteil streben wir heute womöglich stärker nach ihr als je zuvor. »Je schwieriger sie zu schaffen ist, je mehr Alternativen, je freier unsere Entscheidung, desto mehr scheinen wir uns (…) an die irrwitzige Idee zu klammern, dass es mit dem einen Menschen klappen könnte.«

Die Monogamie an sich könnte vielleicht sogar auch ganz gut sein, lässt Karig durchblicken. Womöglich ist sie auch die »am wenigsten schlechte Beziehungsform«. Wissen, Bewusstsein und vor allem Vernunft hält er für wichtig bei der Bewertung der Treue. Um es mit ihm zu sagen: »Wir sollten sexuelle Pragmatiker werden. Und unser Glück maximieren.«

3 gehaltvolle Zitate aus dem Buch

»Angst, sich in einen anderen zu verlieben, hatte sie nie. Auch an eine Affäre kann man sich gewöhnen.‚Jemanden haben zu können, entzaubert ihn auch', sagt sie.« »So frei, wie wir sind, könnte man meinen, wir würden endlich glücklich werden mit unserer sexuellen Natur. Aber ebenso wie wir frei wären, uns genug zu bewegen, um glücklich mit unserem Bewegungsdrang zu werden, und viele Menschen trotzdem kaputte Rücken haben und künstliche Hüften brauchen, weil sie es eben nicht tun – ebenso ist auch das sexuelle Glück heute oft nur ein Konjunktiv.« »Wir müssen verinnerlichen, dass Sex magisch sein kann, aber nicht muss. Dass er wichtig ist, sehr wichtig, aber nicht alles. Dass er wichtig genug ist, dass man drüber redet, und zwar wirklich redet, über alles. Aber nicht wichtig genug, um deswegen Menschen und Beziehungen kaputt zu machen. Dass wir zwar befreit sind. Aber noch lange nicht frei..«

Fazit: Das bringt die Lektüre

»Was Paare zusammenhält« von Werner Bartens, »Die versteckte Lust der Frauen« von Daniel Bergner, »Sex – die wahre Geschichte« von Christopher Ryan und Cacilda Jethá, »Lob der offenen Beziehung« von Oliver Schott – Karig hat sie alle gelesen, nein: wohl eher studiert.

Die gehaltvollen Erkenntnisse der Biologen, Sexualwissenschaftler, Psychologen und Philosophen misst er an unserer Beziehungswirklichkeit, indem er Paare zu Wort kommen lässt, die versuchen, Liebe und Treue individuell und freier zu leben. Und das macht den lesenswerten Unterschied: Sie bekommen in diesem Buch Wissenswertes zum Thema prägnant zusammengefasst und erfahren, wie Liebesmodelle jenseits der Monogamie in der Praxis tatsächlich funktionieren.

Auch wenn Karigs Buch kein Ratgeber ist, enthält er so das Zeug, das man braucht, um sein eigenes Liebesleben ehrlich zu hinterfragen. Und es ermutigt dazu, sich vielleicht etwas mehr Freiheit in Sachen Beziehung zu erlauben.

Hier geht es portofrei zum Buch – auch als Kindle-Version erhältlich



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