Was ist Intimität und welche Rolle spielt sie beim Sex in Beziehungen? Antworten darauf liefert das Buch »Die Psychologie der Intimität« von Tobias Ruland

Junges Paar lächelt sich an

So geht wahre Intimität: Sex ist mehr als lustvoller Körperkontakt

Wie geht Beziehung? Auch in diesem Sachbuch geht es um eine der wichtigsten Fragen, die die Paarliebe aufwirft. Wie bringen es zwei Menschen zuwege, über viele Jahre eng verbunden zu bleiben, eine Intimität aufrechtzuerhalten und echte Nähe und intensives Begehren zu erleben?

Nur, indem beide Partner bereit sind, an sich zu arbeiten und gemeinsame Entwicklungsschritte zu gehen, meint Tobias Ruland. Warum Paaren irgendwann die Kraftquelle intimer Nähe verlorengeht, wieso Intimität nicht gleich Sex ist und wie es gelingen kann, auch nach vielen Beziehungsjahren noch große Momente inniger Nähe zu erleben und Intimität wiederzufinden, erklärt der Paartherapeut in diesem Buch.

Buchvorstellung: Die Psychologie der Intimität: Was Liebe und Sexualität miteinander zu tun haben

Darum geht's:

Wenn Sie verliebt sind und Ihr Partner auch, ist alles wunderbar. Dann wollen Sie zusammen sein, verspüren den Drang nach großer Nähe und sind bereit, einen hohen Einsatz dafür zu bringen. Das funktioniert problemlos, solange die Gefühle auf beiden Seiten gleich stark sind. Ist dies nicht mehr der Fall, tauchen bisweilen dunkle Wolken am Liebeshorizont auf. Und dann kommt wahre Intimität ins Spiel. Die ist viel mehr als nur Sexualität und äußert sich viel komplexer als bloß in einem erotischen Akt. Wenn Sie mit Ihrem Partner Sex haben, werden Sie in der Regel intim – denken Sie, liegen damit aber vielleicht gar nicht richtig. Denn Sie können den heißesten, tollsten Sex haben – aber ganz ohne einen Hauch von echter Intimität zu erleben. Wirklich nah sein müssen Sie Ihrem Sexpartner nämlich nicht, um auf Ihre erotische Kosten zu kommen. Intimität entsteht, wenn sich zwei Menschen gleichzeitig innerste Gefühle und Gedanken offenbaren und sich dabei erleben. Und das kann mit und ohne Sex geschehen.

So ist der Inhalt strukturiert:

In 6 Kapiteln erläutert Tobias Ruland, wie Sex und Intimität miteinander zusammenhängen, wie Paarbeziehungen zustandekommen und wie sie sich entwickeln. Jedes Kapitel konzentriert sich dabei auf verschiedene Schwerpunkte und klärt wichtige Fragestellungen, die jeweils in einer Zusammenfassung noch einmal kurz skizziert werden.

  • Die ersten fünf Kapitel beschreiben alle wichtigen Fähigkeiten und Eigenschaften, die förderlich und notwendig sind, um eine intime Partnerschaft gedeihen lassen und langfristig führen zu können.
  • Das letzte Kapitel befasst sich konkret damit, wie intime Paarbeziehungen wachsen können. Ruland führt hier neun Puzzlesteine auf, die er als Einflussfaktoren für den Grad der Intimität in Beziehungen sieht.

Das steckt drinnen:

Ruland erklärt, dass die meisten Beziehungen auf Gemeinsamkeiten, auf sogenannten Passungen basieren. Menschen fühlen sich voneinander angezogen wegen bestimmter Merkmale, die anfangs bestens harmonieren. Im Laufe der Beziehung ändern sich diese Passungen aber oder schwächen sich ab – dann geraten viele Paare in die Krise. Denn was Ausgangsbasis für die Liebe war, ist plötzlich anders. Was dann kommt, ist die große Enttäuschung und das Hadern mit der Beziehung. Wo andere Paarberater empfehlen, an den hohen Erwartungen zu arbeiten und sich mit dem zu begnügen, was nach vielen gemeinsamen Jahren übrigbleibt, rät Ruland zum innerpartnerschaftlichen Aufbegehren: Wenn beide Partner bereit sind, wahre Intimität zu erlernen, können sie eine deutliche Verbesserung der Liebes- und Sexqualität erreichen.

Ausführliche Beschreibung

Was ist eigentlich Intimität?

Intimität gelingt dann, wenn es zwei Menschen schaffen, trotz der unvermeidlichen Probleme und Verletzungen des Lebens immer den Respekt füreinander zu bewahren, sich einander authentisch zu offenbaren und jede sich bietende Gelegenheit zu nutzen, um sich auf Augenhöhe zu begegnen. Normalerweise seien wir mit unserer Gedanken- und Gefühlswelt allein, wenn wir diese einem anderen mitteilen und uns offenbaren, dann entsteht das, was Ruland als Intimität in seinem Buch bezeichnet. Intimität bedeute, frei und offen der sein zu können, der man ist – und zwar in fremder Gegenwart. Das können Momente der Nähe sein, erotische Begegnungen, aber auch intensive Blicke oder Gespräche. Sex muss es nicht immer sein.

Weshalb Sexualität nicht immer intim ist

Wir Menschen sind vermutlich die einzigen Wesen, die ihrer Sexualität einen Sinn zuschreiben und zwar außerhalb der biologischen Reproduktion der eigenen Art. Wir würden uns nämlich häufig fragen, warum wir Sex haben, schreibt Ruland.

Er zitiert in diesem Zusammenhang eine interessante Studie, in der Männer und Frauen angeben sollten, aus welchen Gründen sie Sex hatten. Die Antworten, so Ruland, zeigen, wie oft der sexuelle Akt alles andere als intim, also intensiv auf die andere Person gerichtet ist. Sondern vielmehr aus Zufall, aus Lust, aus Langeweile oder vielen anderen ziemlich unintimen Gründen stattfindet. Sex und Intimität werden bisweilen als Begriffe verwechselt, was zur Annahme verleitet, das eine sei mit dem anderen gleichzusetzen.

Ist es aber nicht: Denn auch wenn die körperliche Vereinigung eine der intimsten Handlungen in Paarbeziehungen ist, ermöglicht sie oft keine wahre Begegnung zweier Menschen. Ruland zufolge gibt es unendlich viele Paare, die sich im Alltag sehr nahe sind, aber keine wirkliche Intimität miteinander erfahren – und damit vor der ultimativen Herausforderung in einer Zweierbeziehung stehen.

Kollusive Allianz: bequemes Arrangement mit natürlichem Verfallsdatum

Vielen Menschen falle es schwer, klar zu benennen, warum sie mit ihrem Partner zusammen sind, weiß Ruland aus der Praxis. Als Motive für die Partnerwahl werden häufig Dinge angeführt wie Aussehen, gemeinsame Interessen, Charaktereigenschaften, sexuelle Bedürfnisse oder übereinstimmende Ansichten bei der Familienplanung. Es gebe Hunderte von Motivationen, warum wir mit einem anderen Menschen zusammenkommen, schreibt Ruland. Die meisten Menschen wünschen sich aber einen Partner, der zu ihnen passt – und streben damit das an, was die Paarforschung eine kollusive Allianz (von lat. colludere= zusammenspielen) nennt.

Dabei passen die Vorlieben und Erwartungen zweier Partner so zusammen, dass sie sich relativ mühelos ergänzen. Das läuft auf einen unbewussten Tauschhandel heraus: Du gibst mir etwas, was ich nicht habe, und umgekehrt. Je mehr Ebenen dieses Tauschhandels existieren, um so perfekter erscheint die Passung: Der eine profitiert vom anderen und trägt zu seiner Bedürfnisbefriedigung bei. Der Charme dieser kollusiven Passung liege darin, dass beide Partner mit den Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen, die Bedürfnisse des anderen befriedigen, ganz ohne übermäßigen Aufwand. Das sei behaglich und bequem, leicht lässt sich damit eine Beziehung gestalten – etwa, wenn der eine besonders gerne kocht, der andere das gar nicht kann oder der Mann die Familie ernährt und die Frau daheim die Kinder großzieht.

Aber dieses unbewusste Arrangement hat nicht nur einige konfliktträchtige Nachteile, etwa, weil sich dadurch mitunter ein Machtgefälle und eine gegenseitige Abhängigkeit ergibt, sondern es hat auch ein natürliches Verfallsdatum. Denn diese kollusive Allianz geht von Bedingungen aus, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dauerhaft erfüllt sein werden. Spätestens dann, wenn einer plötzlich andere Bedürfnisse entwickelt oder die alten gestillt worden sind, ist die Ausgangslage eine ganz andere. Dann gerät die kollusive Allianz ins Schwanken, die Grundlage der Liebe verändert sich. Die Partner sind enttäuscht, sehen ihre Erwartungen nicht mehr erfüllt, halten aber nach wie vor an ihren Ansprüchen fest – mit dem Resultat, dass die Beziehung in eine Krise steuert.

Viele Experten würden die Ansicht vertreten, man müsse in einem solchen Fall die Erwartungen herunterschrauben, akzeptieren, dass es nunmal so ist und Bescheidenheit an den Tag legen, schreibt Ruland. Das sei der falsche Weg, meint er. Wer sich abfindet mit einer unbefriedigend gewordenen Beziehung, verhindert damit vielleicht das Aufbrechen der kollusiven Allianz, wird so aber sicherlich nicht glücklicher und erlebt garantiert keine wahre Intimität.

Die Alternative: eine kollaborative Allianz

Dinge ändern sich, Bedürfnisse wandeln sich und Gemeinsamkeiten gehen verloren – wer sich darauf verlässt, dass die Gefühle der Anfangszeit über Beziehungskrisen hinwegtragen, täuscht sich. Und wird mitunter laut Ruland massiv enttäuscht, weil irgendwann die großen Momente exklusiver Nähe fehlen. Eine mögliche Alternative ist die kollaborative Allianz (von lat. collaborare= zusammenarbeiten) meint Ruland. Dabei wissen die Beteiligten, was sie beitragen müssen, damit die Allianz ihren zugedachten Zweck erfüllt und nehmen ihre Verantwortung zu deren Gelingen wahr.

Im Klartext heißt das: Sie bleiben auch am Ball, wenn es mühsam und unangenehm wird. Sie sind ein Team und gehen Schwierigkeiten nicht aus dem Weg, stellen sich ihren negativen Gefühlen und streben eine gemeinsame Lösung an. Oftmals gibt nämlich im Konfliktfall einer der Partner nach, tritt zurück und relativiert seine Erwartungen, um die Balance der kollusiven Allianz wiederherzustellen. Zugeständnisse heißt das Zauberwort – man einigt sich auf die goldene Mitte. Aber die gibt es nicht, klärt uns Ruland auf. Die Suche nach einem tragfähigen Kompromiss sei oft nicht die Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems.

Und wie kann's gehen?

Man sollte also Ruland zufolge nicht nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner, einer gerechten Lösung oder anderen faulen Übereinkünften suchen, sondern gemeinsam die Beziehungskrise bewältigen – nicht aus puren Vernunftgründen oder pragmatischen Erwägungen, sondern aus einer inneren Entscheidung heraus.

Leicht ist das nicht, denn die kollaborative Allianz setzt die Entwicklung bestimmter persönlicher Fähigkeiten voraus, die uns nicht in die Wiege gelegt werden, sondern die wir im Lebenslauf erwerben können und sollten. Das geht im Zuge einer Differenzierung des Selbst, wie Ruland erläutert. Das bedeute, man setze sich mit den eigenen Unzulänglichkeiten und den persönlichen Fehlern auseinander, was Zeit, Kraft und auch Schmerzen bedeute – schön ist es wohl nie, sich selbst die eigenen Grenzen einzugestehen. Der Lohn dafür sei aber eine innigere, liebevollere Beziehung, mehr Nähe und auch mehr Intimität.

Und wie kommen wir dahin? Indem wir ganz bewusst dazu beitragen, dass unsere intime Paarbeziehung wächst. Im sechsten Kapitel wird es praktischer, Ruland erklärt hier, dass dazu beide Partner verschiedene Fähigkeiten und auch Eigenschaften entwickeln müssen.

9 Einflussfaktoren für Nähe und eine intime Partnerschaft

  • Selbstbestätigte Intimität – Sie geben Ihrem Partner auch dann Ihre innersten Gefühle preis, wenn Sie nicht mit einer positiven Reaktion darauf rechnen können.
  • Kollaborative Allianzen aufbauen und pflegen – Sie geben sich beiden langfristige Motivation, ein Ziel, das von Ihnen beiden getragen wird – in guten wie in schlechten Zeiten.
  • Commitment – Sie entscheiden sich bewusst und mit allen Konsequenzen für einander und vertreten diese Entscheidung auch.
  • Selbstberuhigung und Hingabe – in kritischen Momenten können Sie sich selbst beruhigen, d.h. auch in unbehaglichen Situationen Ihre Gefühlswelt steuern. Hingabe meint die Anerkennung unterschiedlicher Anliegen und Bedürfnisse.
  • Die Anliegen des Partners ernst nehmen – die Anliegen Ihres Partners nehmen Sie so wichtig wie Ihre eigenen.
  • Gegenseitiges Wohlwollen – im Konfliktfall machen Sie sich rational klar, dass Ihr Partner das, was er tut, nicht macht, um Ihnen zu schaden.
  • Die körperliche Beziehung pflegen: Ob Sex oder nur echte Berührung – Sie geben sich Mühe, körperliche Nähe herzustellen.
  • Momente der Begegnung schaffen – Sie schaffen Augenblicke, in denen Ihre Selbstoffenbarung zu einem zwischenmenschlichen Kontakt führt, der das Innerste berührt.
  • Die eigenen Emotionen beobachten und steuern – Sie sollten Ihre negative Gefühle beobachten und begrenzen und die positiven Gefühle pflegen.

All diese Eigenschaften muss jeder der Partner für sich selbst entwickeln und dann in die Beziehung hineintragen. Nur wenn beide ihr seelisches Gleichgewicht nicht völlig vom anderen oder von dessen Reaktion abhängig machen, und die Bereitschaft mitbringen, immer wieder psychische Entwicklungsschritte zu gehen, kann wahre Intimität gelingen.

Fazit: Das bringt die Lektüre

Dies ist kein Buch für zwischendurch und auch keines, dass Sie einfach so durchblättern können. Sie sollten es von vorne bis hinten lesen, dann können Sie tatsächlich mit sachkundiger Unterstützung des Autors dem Phänomen der Intimität in Ihrer Paarbeziehung auf die Spur kommen. Ruland öffnet mit seinen intelligenten Ausführungen über Wesen und Wirkung von intimer Nähe den Blick für neue Fragestellungen und damit für einen anderen Umgang mit dem Partner. Der muss nicht perfekt sein, die Beziehung nicht grundweg harmonisch. Wichtig ist, dass man auch durchhält, wenn es kompliziert wird und dann die Kraft intimer Begegnungen nutzt, um eine stabile Partnerschaft zu (er-)leben. Und zwar mit oder auch ohne Sex.

Hier geht es portofrei zum Buch



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